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„Wir lie­ben Lebens­mit­tel“.  Die­ser rote Faden zieht sich seit nun­mehr drei Gene­ra­tio­nen durch das Leben der Fami­lie Engel­hard.

Ange­fan­gen hat alles 1939 in Lohr, einem klei­nen Städt­chen im Spes­sart, als Jose­fi­ne und August Engel­hard einen Laden in der Lin­dig-Sied­lung bau­ten. Für bei­de gab es nur ein Ziel: der eige­ne Laden!  Sie war Fili­al­lei­te­rin bei Kup­sch, einem regio­na­len Filia­lis­ten in Unter-fran­ken, er hat­te sich das Rüst­zeug bei einem ört­li­chen­Le­bens­mit­tel-Groß­han­del geholt.

Das Ange­bot der ört­li­chen Bau­fir­ma aus Lohr (Nov. 1938)  lau­te­te für Bau­aus­hub bis ein­schließ­lich Ver­putz und Anstrich auf gesamt 11437 Reichs­mark. Ver­gleich­bar lag der durch­schnitt­li­che Ver­dienst eines Arbei­ters in die­ser Zeit bei 165 RM pro Monat.

Durch die Kriegs­wir­ren konn­te der Laden mit nur 40 m² erst 1944 auf Anwei­sung der ört­li­chen Kom­man­dan­tur von Jose­fi­ne Engel­hard eröff­net wer­den. Es waren schwe­re Zei­ten, bis der Ehe­mann aus der Kriegs­ge­fan­gen­schaft ent­las­sen wur­de. Die Waren muss­te Frau Engel­hard mit dem Hand­wa­gen – ein ande­res Fahr­zeug gab es nicht – bei ört­li­chen Groß­han­del holen und müh­sam mehr als zwei Kilo­me­ter zie­hen. Oben­auf die nicht mal zwei Jah­re alte Toch­ter Irm­traud, die mit ihren Mög­lich­kei­ten flei­ßig mit­half.

In den letz­ten Wochen und Mona­ten der Kriegs­zeit waren vie­le Din­ge des täg­li­chen Bedarfs, auch fast alle Lebens­mit­tel ratio­niert und konn­ten nur gegen Mar­ken ver­kauft bzw. getauscht wer­den. Dafür gab es dann wie­der bei der Behör­de die Bezugs­schei­ne, die man beim Groß­han­del gegen neue Waren – falls vor­han­den – ein­tau­schen konn­te.

Auch nach dem Ende des Krie­ges war die Man­gel­wirt­schaft an der Tages­ord­nung.

Vie­les zum Über­le­ben wur­de mit dem Tausch­han­del erreicht, ent­behr­li­che Din­ge san­ken rapi­de in ihrem Wert. Der Schwarz­markt blüht, belieb­tes Zah­lungs­mit­tel ist die Ami-Ziga­ret­te! Ab Mit­te 1946 lin­dern die CARE-Pake­te aus den USA so man­che Not ein wenig.

Die Zahl der Ein­woh­ner in der Lin­dig-Sied­lung nahm rasant zu, vie­le Fami­li­en waren aus den Ost­ge­bie­ten geflüch­tet und wur­den teils in ein­fa­chen Bara­cken unter­ge­bracht. Damit wuch­sen auch die Anfor­de­run­gen der Kun­den, die es zu erfül­len galt.

Mit­te 1948 kam mit der Wäh­rungs­re­form die DEUTSCHE MARK  in die Geld­bör­sen.

Das „Kopf­geld“ in Höhe von 40 Mark konn­te abge­holt wer­den, der Umtausch­kurs der Reichs­mark ist 10:1. Gehäl­ter und Waren­prei­se wur­den 1:1 umge­stellt. Der Man­gel an Klein­geld war anfangs enorm, da wur­den schon mal Ein- und Zwei­pfen­nig-Mün­zen auf Pap­pe gemalt und als Wech­sel­geld aus­ge­ge­ben.

Damit ver­än­der­te sich der Han­del in kür­zes­ter Zeit. Die Zwangs­be­wirt­schaf­tung hat­te ein Ende und wur­de von der frei­en Markt­wirt­schaft abge­löst. Neben den lebens­not­wen­di­gen Grund­nah­rungs­mit­teln gab es schon wie­der ver­ein­zelt auch „Luxus­wa­ren“  wie z.B. Nes­ca­fe (gab es seit 1938) oder Fan­ta (seit 1940). Für die Kin­der gab es jetzt wie­der Bon­bons und sogar Kau­gum­mi zu kau­fen.

Da in vie­len Fami­li­en chro­ni­scher Gel­man­gel herrsch­te, war das „Anschrei­ben“ wie­der an der Tages­ord­nung. Und wenn Vater am Frei­tag­abend mit der vol­len Lohn­tü­te nach Hau­se kam, konn­te die Frau beim Kauf­mann die Schul­den beglei­chen und für das Wochen­en­de was Gutes ein­kau­fen. Manch­mal war der Weg der Lohn­tü­te von einem Abste­cher in der nächs­ten Gast­wirt­schaft unter­bro­chen. Da fiel dann der Ein­kauf zum Wochen­en­de schon mal knap­per aus.

Die Geschichts­bü­cher schrei­ben das Jahr 1948. Wäh­rend in der West­zo­ne die Wirt­schaft an Fahrt gewinnt, grenzt sich die Ost­zo­ne immer mehr ab. Flei­ßig bau­en die Kom­mu­nis­ten am „Eiser­nen Vor­hang“. Kurz nach der Wäh­rungs­re­form kommt es zum ers­ten Kräf­te­mes­sen der neu­en Mäch­te. Die Sowjets stop­pen den Land­ver­kehr nach Ber­lin. Doch die Ame­ri­ka­ner las­sen die Ber­li­ner nicht im Stich. In einer legen­dä­ren Hilfs­ak­ti­on flie­gen „Rosi­nen-Bom­ber“ rund um die Uhr und ver­sor­gen über die Luft­brü­cke die Bevöl­ke­rung fast ein Jahr lang mit

1,5 Mil­lio­nen Ton­nen lebens­not­wen­di­ger Fracht wie Lebens­mit­tel, aber auch Koh­len und vie­les mehr.

Wir sind im Jahr 1949 ange­kom­men. Da gibt es schon den ers­ten Tchi­bo Kaf­fee zu kau­fen. In Ber­lin wur­de die Cur­ry­wurst erfun­den. In ihrem Imbiss in Ber­lin-Char­lot­ten­burg ver­kauf­te die gebür­ti­ge Königs­ber­ge­rin Her­ta Heu­wer eine gebra­te­ne Brüh­wurst mit einer eige­nen Sau­cen­mi­schung aus Toma­ten­mark, Cur­ry­pul­ver und Worces­ter­sauce. Im glei­chen Jahr wur­den in Mün­chen die Pfan­ni-Knö­del erfun­den. Und am 7. Okto­ber wird in der sowje­ti­schen Zone die DDR gegrün­det. Deutsch­land ist geteilt.

Kaum zu glau­ben: seit dem 1. März 1950 gibt es in der Bun­des­re­pu­blik kei­ne Lebens­mit­tel-Mar­ken mehr, in der DDR exis­tie­ren sie noch bis 1958. Am 16. Mai 1950  wird Mainz zum Regie­rungs­sitz, vor­her war die­ser in Koblenz. Im Juni wur­de zum ers­ten Mal ein 8000er, der Anna­pur­na bestie­gen. Der Korea-Krieg beginnt. Die Deut­schen fan­gen wie­der an, Lebens­mit­tel zu hor­ten und haben Angst vor dem drit­ten Welt­krieg. Vor Aus­bruch gab es in der Bun­des­re­pu­blik dra­ma­ti­sche 14 Pro­zent Arbeits­lo­se. Doch der Aus­bruch des Korea-Kriegs kur­belt den deut­schen Export an.

1950 gab es auch Zuwachs im Hau­se Engel­hard. Ein Motor­rad samt Anhän­ger wur­de ange­schafft. So wur­de auch der Waren­trans­port wesent­lich erleich­tert. Eben­falls in die­sem Jahr wur­de August Engel­hard Mit­glied der EDEKA Genos­sen­schaft Würz­burg und bekam von dort einen gro­ßen Teil der Waren mit dem LKW ange­lie­fert.

Ab der­nächs­ten Aus­ga­be berich­tet der Chro­nist (Jahr­gang 1951) auch schon mal über eige­ne Erleb­nis­se und Erfah­run­gen.

Auch wenn 1951 der denk­bar schlech­tes­te Jahr­gang im Bor­deaux war, das Wirt­schafts­wun­der hat Deutsch­land erreicht. Das ers­te Micky Mou­se Heft von Walt Dis­ney kommt auf den Markt. Und Wer­ner Engel­hard wird gebo­ren. Gebo­ren in eine der span­nends­ten Zei­ten, die es jemals gab. So wuchs in den Läden das Sor­ti­ment von Tag zu Tag an. Die gute Ver­sor­gung mit Grund­nah­rungs­mit­teln wur­de zur Selbst­ver­ständ­lich­keit, die Man­gel­wirt­schaft ver­ab­schie­de­te sich. „Es darf geschlemmt wer­den“ so die neue Devi­se. Typisch dafür wur­de der Klas­si­ker der 50er erfun­den: Toast Hawaii. Eine ver­schwen­de­ri­sche Kom­bi­na­ti­on aus Schin­ken und Käse demons­trier­te den neu gewon­ne­nen Wohl­stand, Ana­nas und Cock­tail­kir­schen drück­ten die Sehn­sucht nach der wei­ten Welt aus. Nach all den Ent­beh­run­gen der zurück­lie­gen­den Jah­re herrscht gro­ßer Nach­hol­be­darf. Essen ist das neue Lebens­ge­fühl. Lud­wig Erhard, der Vater des Wirt­schafts­wun­ders, macht es allen vor.

Auch im Geschäft gab es sicht­bar gro­ße Ände­run­gen. Über­haupt war der Fir­men­grün­der sehr inno­va­tiv. Schon 1952 zog der Fort­schritt im Hau­se Engel­hard ein, denn es kam die Umstel­lung auf Teil-Selbst­be­die­nung. Bei den Grund­nah­rungs­mit­teln war es üblich, dass sie aus dem 25 oder 50 kg-Sack oder aus Schub­la­den her­aus nach Kun­den­wunsch abge­wo­gen wur­den. Was sonst täg­lich nach Bedarf gekauft wur­de, war jetzt test­wei­se schon in den ver­kaufs­schwa­chen Zei­ten in blau-weiß gestreif­te Tüten mit einem Sicht­fens­ter aus Zell­glas ver­packt wor­den. So gab es Reis, Grieß, Zucker und Mehl jetzt in Halb­pfund- und Pfund­pa­ckun­gen schon fix und fer­tig. Die Haus­frau zu über­zeu­gen, mehr als den heu­ti­gen Bedarf zu kau­fen, fiel nicht immer leicht. Durch die ratio­nel­le Arbeits­wei­se konn­ten die Packun­gen aber jetzt güns­ti­ger ver­kauft wer­den, das hat auch Anfang der 50er Jah­re schon gezählt.

Im Herbst 1953 kam der ers­te Stift (heu­te Azu­bi), Edda K. ins Haus. Wegen schlech­ter Ver­kehrs­an­bin­dung zum Hei­mat­ort hat­te sie wäh­rend der Woche ein Zim­mer in der Nähe und konn­te nur zum Wochen­en­de nach Hau­se kom­men. Wochen­en­de hieß es aber erst, wenn Sams­tag nach Laden­schluss – 18:00 Uhr – die Holz­die­len hin­ter der Bedien­the­ke und im Lager mit Sei­fen­lau­ge geputzt waren.  Der Chro­nist selbst war gera­de den Win­deln ent­wach­sen und hat­te nun ein neu­es Opfer für sei­ne Strei­che, die von Edda lie­be­voll gedul­det und oft genug vor den Eltern ver­schwie­gen wur­den. Häu­fig durf­te sie den Spross zum Kin­der­gar­ten brin­gen oder dort abho­len. Selbst­ver­ständ­lich hat sie auch die bes­ten Pau­sen­bro­te geschmiert. Also schon damals war der Grund­stein für einen lan­gen gemein­sa­men Weg gelegt wor­den. Sie war immer ein guter Rat­ge­ber, Hel­fer und ech­ter Freund für die gan­ze Fami­lie, der sie über drei Gene­ra­tio­nen bis zum Ren­ten­be­ginn die Treue hielt.

Ja, das Wirt­schafts­wun­der ver­än­der­te die jun­ge Repu­blik mit gro­ßen Schrit­ten. Waren es im Jahr 1950 noch dra­ma­ti­sche 14 % Arbeits­lo­se, man­gelt es weni­ge Jah­re spä­ter an Arbeits­kräf­ten. Dar­um holt die Regie­rung 1955 die ers­ten Gast­ar­bei­ter, über­wie­gend aus Ita­li­en nach Deutsch­land. Die Haus­frau konn­te sich das Leben schon mal etwas leich­ter machen. Mie­le bringt 1951 die ers­te Wasch­ma­schi­ne auf den Markt, die auch in der Küche unter­ge­bracht wer­den konn­te. Wei­te­re tech­ni­sche High­lights wie ein Bau­knecht-Kühl­schrank, ein Geschirr­spü­ler oder ein Grun­dig-Radio stan­den auf der Wunsch­lis­te ganz oben. Kein Pro­blem, ein­fach bei den Ver­sand­händ­lern aus dem Kata­log aus­su­chen und bestel­len. Dank „beque­mer Teil­zah­lung“, wie der neue Raten­kre­dit heißt, konn­ten vie­le Wün­sche erfüllt wer­den. Schließ­lich wächst die Wirt­schaft in den 50er Jah­ren jedes Jahr im Schnitt um über 8 Pro­zent, die Löh­ne stei­gen und vie­len geht es wie­der rich­tig gut. Die Nach­barn wer­den zur Par­ty ein­ge­la­den, man fei­ert mit reich­lich Alko­hol und bewun­dert den neu ange­schaff­ten Nie­ren­tisch und die bieg­sa­me Lam­pe mit Tüten­schirm. Und ab 1953 steht in dem einen oder ande­ren Wohn­zim­mer sogar einer der ers­ten Fern­se­her. Die Mäd­chen tra­gen bun­te Pet­ti­coats, enge Capri-Hosen und Nylon­strümp­fe. Und die Ehe­frau­en ver­füh­ren ihre Män­ner im necki­schen Baby­doll …

Aus dem Radio klan­gen ab Mit­te der 50er ganz neue Töne. Der Sen­der AFN war der Hor­ror für die Eltern, schließ­lich spiel­ten die den Rock’n’Roll mit Bill Haley oder Elvis Pres­ley. Die Jugend rebel­liert gegen den Muff der schein­bar hei­len Welt des Spieß­bür­ger­tums. Die „Halb­star­ken“ tra­gen Jeans und Leder­ja­cke, locken sich mit Poma­de die Haa­re wie Elvis und tref­fen sich in Milch­bars und Licht­spiel­häu­sern.

In die­se Zeit gehört auch der Auf­stand des 17. Juni 1953, der dann mit­hil­fe sowje­ti­scher Pan­zer gewalt­sam durch SED und NVA nie­der­ge­schla­gen wur­de.

Alles war im Fluss. Die Ein­woh­ner­zahl in der Sied­lung steigt wei­ter an. Da fällt im Jahr 1956 die Ent­schei­dung, die Laden­flä­che durch einen Anbau zu erwei­tern. Fer­tig­ge­stellt 1957 gab es dann auch einen Ver­kauf von loser Milch. Die behörd­li­che Geneh­mi­gung dazu gab es nur nach einem ein­wö­chi­gen Sach­kun­de­lehr­gang und mas­si­ven Hygie­ne­auf­la­gen. Abge­füllt wur­de die Milch in die mit­ge­brach­ten Milch­kan­nen des Kun­den oder in Pfand­fla­schen. An guten Tagen wur­den so schon mal fünf oder sechs der 40-Liter Kan­nen leer­ge­pumpt und ver­kauft. So gab es jetzt eine gekühl­te Ver­kaufs­the­ke mit Glas­schei­be, damit die Kun­den das Sor­ti­ment an Wurst und Käse auch aus­wäh­len konn­ten.

Der Senf wur­de aber immer noch in das mit­ge­brach­te Glas oder Stein­gut­töpf­chen aus einem gro­ßen 10-Liter Kera­mik­topf gefüllt. Ein­mal zie­hen = 10 Pfen­nig. Essig und Öl kamen aus dem Blech­be­häl­ter mit ska­lier­tem Schau­glas. Sau­er­kraut und Salz­he­rin­ge wur­den „frisch“ aus dem Kel­ler geholt, wo sie in 100-Liter Fäs­sern lager­ten. Der Chro­nist war inzwi­schen schon groß und stark genug, um den mit einem schwe­ren Sand­stein belas­te­ten Holz­de­ckel aus dem Sau­er­kraut­fass zu holen und so von der gesun­den Roh­kost zu naschen. Aber nur nicht erwi­schen las­sen.

Mit der Erwei­te­rung des Ladens durch den Anbau gab es jetzt auch in der Woh­nung mehr Platz für die fünf­köp­fi­ge Fami­lie. So beka­men die „gro­ßen“ Schwes­tern jeweils ihr eige­nes Zim­mer, wäh­rend für den klei­nen Bru­der auch nur eine klei­ne Kam­mer übrig blieb.

Im Jahr 1957 begann aber auch der Ernst des Lebens, die nicht immer gelieb­te Schu­le.

Mit mehr als 50 wei­te­ren Erst­kläss­lern und einem „alten“ Leh­rer war jetzt in der städ­ti­schen „Bue­we­schul“ Zucht und Ord­nung das neue Tages­pro­gramm. Die Mäd­chen wur­den in einer ande­ren Schu­le von Non­nen unter­rich­tet. Mit dem Ran­zen auf dem Rücken und einer gro­ßen Zahl von Freun­den wur­den die 2 Kilo­me­ter Schul­weg zwei­mal täg­lich und bei Wind und Wet­ter geschafft. Manch­mal unter­bro­chen von span­nen­den Aben­teu­ern auf dem Weg.

Da gab es auch schon mal nas­se Schu­he und Hosen oder mehr. Auch wenn es im Hau­se Engel­hard schon eines der weni­gen pri­va­ten Tele­fo­ne gab, konn­te der säu­mi­ge Sohn nicht ange­ru­fen wer­den, wenn das Mit­tag­essen am Tisch kalt wur­de. Danach fiel das „Lob“ schon auch mal herz­haf­ter aus.

Die gro­ße Schwes­ter Irm­traud hat­te ihre Schul­zeit schon been­det und durf­te als der drit­te  „Stift“ im Haus ihre Aus­bil­dung begin­nen, die sie 1960 mit Aus­zeich­nung abge­schlos­sen hat.

In einem Fami­li­en­be­trieb war es selbst­ver­ständ­lich, dass auch die Kin­der flei­ßig mit­hal­fen. Für den jüngs­ten Spross gab es die span­nen­de Auf­ga­be, Hüh­ner­fut­ter und Lege­mehl aus dem 50-kg-Sack in Kilo- oder Fünf­pfund­tü­ten zu fül­len. Den fast lee­ren Sack konn­te er dann im eige­nen Hüh­ner­stall aus­schüt­teln.

1958 kam das ers­te Auto in die Fir­ma, ein Opel Olym­pia Cara­van. Das war auch drin­gend nötig, um damit täg­lich bei Wind und Wet­ter  – vor Regen schütz­te ein Klep­per­man­tel —  die Kun­den im Neu­bau­ge­biet direkt an der Haus­tü­re mit dem Not­wen­digs­ten zu ver­sor­gen.

Irgend­wie lag es schon immer in der Fami­li­en­tra­di­ti­on, dass wir die Men­schen ver­sor­gen.

So zeigt der fast lücken­lo­se Stamm­baum der Fami­lie auf­fal­lend vie­le Kauf­leu­te, Wein­wir­te und Gas­tro­no­men auf. Immer­hin bis Ende des 17. Jahr­hun­derts zurück ist das alles doku­men­tiert, als ein gewis­ser Petrus Engel­hard in Östrich am Rhein leb­te.

Eben­falls weit zurück­geht die his­to­ri­sche Ver­bin­dung zwi­schen Lohr und Mainz.

Die Gra­fen von Rieneck erbau­ten Ende des 14. Jahr­hun­derts das Loh­rer Schloß. Nach dem Tod des letz­ten Rienecker Gra­fen Phil­ipp III über­nah­men 1559 die Kur­fürs­ten von Mainz als Lan­des­her­ren das Schloß. (Die Stadt Lohr gehör­te bis 1808 zum Kur­fürs­ten­tum Mainz)

Es wur­de Sitz der Ober­amts­män­ner des Kur­fürs­ten. Der bekann­tes­te war Phil­ipp Chris­toph von und zu Erthal. Er war Vater der bei­den fürst­bi­schöf­li­chen Söh­ne, die im Loh­rer Schloß auf­wuch­sen. Gebo­ren 1719 wur­de Fried­rich Karl Joseph von Erthal Kur­fürst von Mainz und Fürst­bi­schof für das Bis­tum Worms. Der 1730 gebo­re­ne Franz Lud­wig von Erthal wur­de Fürst­bi­schof zu Bam­berg und Würz­burg.

Im Jahr 1725 wur­de Maria Sophia Mar­ga­re­tha von Erthal im Loh­rer Schloß gebo­ren.

Was die Gebrü­der Grimm in ihrem Mär­chen geschrie­ben haben, wur­de 1986 von den

„Loh­rer Fabu­lo­lo­gen“ unter Feder­füh­rung von Dr. Karl­heinz Bartels in vie­len wein­se­li­gen Stu­di­en erforscht und doku­men­tiert. So steht es geschrie­ben, dass Maria Sophia von Erthal das „wah­re“ Schnee­witt­chen sei. Der Spie­gel und die gan­ze Geschich­te bzw. Mär­chen kann im Loh­rer Spes­sart­mu­se­um, das im Schloß behei­ma­tet ist, wei­ter erforscht wer­den.

In der Umge­bung zeu­gen noch heu­te vie­le Mark­stei­ne in Wald und Flur von der Ver­gan­gen­heit mit dem Main­zer Rad. Der Land­kreis Lohr a. Main hat­te bis zur Gebiets­re­form 1972 das Main­zer Rad in sei­nem Wap­pen geführt. Auch im aktu­el­len Wap­pen des Land­krei­ses Main-Spes­sart ist das Main­zer Rad zu sehen.

Ende der 50er Jah­re hat­te die Bevöl­ke­rung in der Lin­dig-Sied­lung wei­ter zuge­nom­men und es ent­wi­ckel­te sich ein regel­rech­ter Bau­boom. Den Ein­fa­mi­li­en­häus­chen folg­ten schnell die Dop­pel­häu­ser, aber auch Wohn­blocks mit 4 bzw. 6 Woh­nun­gen. Die Stra­ßen­na­men kün­den von der Her­kunft der neu dazu gekom­me­nen Bür­ger. Schlesier‑, Sudeten‑, Pom­mern- sowie Ege­rer- und Gör­lit­zer­stra­ße, da gab es viel Neu­es zu ler­nen. Auch die ver­schie­de­nen Dia­lek­te der Neu­bür­ger klan­gen oft sehr fremd, was aber mit einem gewis­sen Sprach­ta­lent leicht aus­zu­glei­chen war. Das konn­te auch im spä­te­ren Leben sehr gut ein­ge­setzt wer­den.

Dank des guten Geschäfts­ver­laufs und der wach­sen­den Bevöl­ke­rung konn­ten Engel­hards im Jahr 1958 ein Wie­sen­grund­stück an der Schle­si­er­stra­ße kau­fen, um dort einen neu­en Laden zu bau­en. Die Bau­ge­neh­mi­gung wur­de zügig erteilt, das Haus flott gebaut. So konn­te schon im Som­mer 1960 ein moder­ner Lebens­mit­tel­la­den mit 70 m² eröff­net wer­den. Der Vater wur­de dabei aktiv von den Töch­tern Irm­traud und Ani­ta und wei­te­ren Frau­en unter­stützt.

Der Laden war nach neu­es­ten Prin­zi­pi­en in Selbst­be­die­nung auf­ge­baut und auch mit einem offe­nen Kühl­re­gal aus­ge­stat­tet. Die Kun­den hat­ten ihren Ein­kaufs­korb am Arm und konn­ten aus den Rega­len und Gon­deln frei wäh­len. Wurst und Käse wur­den aus der Bedien­the­ke ver­kauft, dort gab es auch fri­sches Brot von einem Bäcker aus der Stadt. Als beson­de­rer Ser­vice gab es gekühl­tes Bier zu kau­fen. Das war für die Haus­frau wich­tig, damit der Mann nach der Arbeit auch heim­kam und nicht in die Gast­wirt­schaft ein­kehr­te, was die Haus­halts­kas­se schon­te. Schließ­lich hat­te nicht jeder Haus­halt einen Kühl­schrank.  Auch eine elek­tri­sche Regis­trier­kas­se gab es jetzt, so muss­te nicht mehr der Ein­kauf mit Blei­stift und Block auf­ad­diert wer­den.

Da der „Chef“ jetzt im neu­en Laden, der nur 3 Stra­ßen wei­ter war, über­wie­gend tätig war, stieg Edda K. – der „Stift“ von 1953 — qua­si zur Che­fin im alten Laden auf. Was sie jedoch nicht davon abhielt, auch wei­ter­hin jeden Tag bei Wind und Wet­ter, Som­mer wie Win­ter, mit ihrem Fahr­rad die 5 km von Stein­bach in die Sied­lung zu fah­ren.

Die Ein­füh­rung der Tief­kühl­kost war qua­si eine Revo­lu­ti­on. Und ab 1962 gab es im neu­en Laden auch die ers­te Tief­kühl­tru­he. Unter der Mar­ke Fin­dus, ein Unter­neh­men ursprüng­lich aus Schwe­den, das von Nest­lè gekauft wur­de, gab es Fisch­stäb­chen, Forel­len, Spi­nat und Erb­sen. Spä­ter kamen auch Hähn­chen und wei­te­re Pro­duk­te dazu.

Nur weni­ge Jah­re nach Eröff­nung des neu­en Ladens hat­te die Lin­dig-Sied­lung deut­lich über 2000 Ein­woh­ner. Der Neu­bau einer Kir­che und spä­ter eines Kin­der­gar­tens för­der­te das Zusam­men­wach­sen der unter­schied­li­chen Bevöl­ke­rungs­grup­pen. Arbeit fand man im Eisen­werk oder der Glas­hüt­te, in der Draht­fa­brik oder Klei­der­fa­brik, aber auch bei der Bahn.

Rück­bli­ckend auf das Ende der 50er Jah­re mach­te „King“ Elvis Pres­ley mit sei­ner Musik Rocka­bil­ly, aber auch mit sei­ner dyna­misch-ero­ti­schen Büh­nen­per­for­mance unse­re Eltern tanz „ver­rückt“. Als Sol­dat der US-Army kam 1958 die Ver­set­zung nach Bad Nau­heim in Hes­sen, wo er bis 1960 sei­nen Wehr­dienst ableis­tet. Die Musik war aber wei­ter­hin dem Wan­del unter­wor­fen. Der neue Sound – der Rock – war gebo­ren, als sich 1962 die Rol­ling Stones in Lon­don grün­de­ten. Und sie sind immer noch – nach 45 Jah­ren – aktiv!  Im glei­chen Jahr brach­ten die Beat­les ihre ers­te Sin­gle Love Me Do her­aus. Jetzt gab es auch immer mehr Radio­sen­der wie Radio Luxem­burg oder AFN, die sol­che Musik bevor­zugt spiel­ten. Da gab es zuhau­se schon mal hef­ti­ge Dis­kus­sio­nen um die Musik aus dem Radio, das in der Küche auf­ge­stellt war. Mut­ter hat­te es nicht leicht, wenn ich mir mit mei­nen bei­den älte­ren Schwes­tern mal einig war. Da wur­de auch ger­ne lau­ter auf­ge­dreht. „Mach die Neger­mu­sik aus!“, hieß es dann manch­mal hör­bar.

Auch wenn die 60er Jah­re vie­le posi­ti­ve Ent­wick­lun­gen zeig­ten, gab es 1961 eine tie­fe Wun­de in Deutsch­land. Im August rie­gel­te in Ber­lin die Natio­na­le Volks­ar­mee den Ost­sek­tor mit Sta­chel­draht ab und errich­te­te die Mau­er, die für lan­ge 28 Jah­re Deutsch­land tei­len soll­te.

Von kür­ze­rer Dau­er, aber für Ham­burg und die Nord­see­küs­te beson­ders dra­ma­tisch war die Sturm­flut im Febru­ar 1962, bei der 315 Ham­bur­ger ihr Leben las­sen muss­ten. Bei der Bewäl­ti­gung der Kata­stro­phe hat der spä­te­re Bun­des­kanz­ler Hel­mut Schmidt als Innen­se­na­tor der Stadt die zen­tra­le Ein­satz­lei­tung über­nom­men und dabei eine groß­ar­ti­ge Leis­tung für sei­ne Ham­bur­ger erbracht. Im Okto­ber 1962 stand die Mensch­heit am Abgrund eines mög­li­chen Atom­kriegs durch die Kuba-Kri­se. Die Auf­rüs­tungs­spi­ra­le dreh­te sich rasant.

Auch im Lebens­mit­tel­han­del ging der Wan­del mit gro­ßen Schrit­ten wei­ter. Die Sor­ti­men­te wuch­sen rasant und füll­ten die Rega­le. 1961 kam Mira­co­li Spa­ghet­ti als Erin­ne­rung an den ers­ten Ita­li­en-Urlaub auf den Tisch, ab ‘62 der Phil­adel­phia Frisch­kä­se und ab ‘63 Sun­kist. Da gab es nicht nur den Chi­an­ti in der Korb­fla­sche, son­dern auch Piz­za und Pas­ta. Es gab ja auch in Lohr vie­le Gast­ar­bei­ter, über­wie­gend aus Ita­li­en oder Jugo­sla­wi­en, in Deutsch­land waren es 1966 ins­ge­samt 1,2 Mil­lio­nen. Aber auch der Wett­be­werb wur­de immer här­ter, weil sich neue Ver­kaufs­for­men zeig­ten. Die ers­ten Dis­count­lä­den eröff­ne­ten in grö­ße­ren Städ­ten, die übli­chen Rabatt­mar­ken fie­len weg und wur­den durch Wer­bung mit Son­der­an­ge­bo­ten ersetzt. Bei EDEKA wur­de ein Nied­rig­preis-Sor­ti­ment ein­ge­führt, das über­wie­gend aus den gän­gi­gen Grund­nah­rungs­mit­teln bestand. Gleich­zei­tig wur­de das Ange­bot von Frisch­wa­ren wie Obst und Gemü­se, Milch­pro­duk­te und Tief­kühl­wa­ren aus­ge­wei­tet. Auch die bei­den Läden der Engel­hards neh­men an die­sem Wan­del inten­siv teil.

Mit­te der 60er Jah­re war der Chro­nist mit sei­nem Latein am Ende …

Wie es wei­ter geht, erfah­ren Sie in der nächs­ten Kolum­ne.

Ja, 1965 war der Chro­nist mit sei­nem Latein am Ende. Die Leh­rer waren der Mei­nung, dass eine sol­che Note nicht für das Vor­rü­cken in die nächs­te Klas­se reicht. Eigent­lich war ja nur der Direk­tor des Gym­na­si­ums schuld, der als Huma­nist dem Vater gera­ten hat­te, den Sohn als zwei­te Fremd­spra­che doch bes­ser Latein ler­nen zu las­sen. Der aber woll­te par­tout nur Fran­zö­sisch als neu­es Fach haben. Na ja …

Immer viel­sei­tig inter­es­siert und neu­gie­rig galt es nun, sich für die rich­ti­ge beruf­li­che Bahn zu ent­schei­den. Dro­gist war die Wahl und eine Lehr­stel­le war auch bald gefun­den. In einem Vor­ort von Würz­burg in einer klas­si­schen Dorf­dro­ge­rie begann am 1. August die drei Jah­re dau­ern­de Leh­re. Außer dem Chef gab es im Haus nur Kol­le­gin­nen, was er gar nicht als schlimm emp­fand. Und zum Ler­nen gab es reich­lich, die Band­brei­te war schon rie­sig. Von den (nicht apo­the­ken­pflich­ti­gen) Arznei­mit­teln über Baby­nah­rung und –Pfle­ge, Chemi­ka­li­en für Win­zer, Land­wir­te und Hand­wer­ker, Drogen (=Heil­kräu­ter), Farben und Tape­ten, Foto, Hygie­ne­ar­ti­kel, Kos­me­tik, deko­ra­tiv und pfle­gend, Spritz- und Dün­ge­mit­tel und vie­les mehr, es gab alles und das mit guter Bera­tung. Der Chef wuss­te mit der Neu­gier­de des Lehr­lings rich­tig gut umzu­ge­hen, sodass es nie Lan­ge­wei­le gab. Ihn konn­te jeder wirk­lich alles fra­gen und es gab auch immer eine Ant­wort. In der Berufs­schu­le ging es eben­so span­nend wei­ter. Vier Jungs mit fast 30 Mäd­chen in einer Klas­se war schon manch­mal anstren­gend, aber man wächst ja mit sei­nen Auf­ga­ben. Neben den kauf­män­ni­schen Fächern gab es jetzt noch Che­mie, Fach­la­tein (nicht schon wie­der!), Bota­nik, Dro­gen­kun­de und die Aus­bil­dung im Foto­la­bor. Schon nach einem Jahr gab es zuhau­se im Bad dann das eige­ne Foto­la­bor in Schwarz­weiß.

Der Tages­ab­lauf war schon recht kom­pakt. Um 6:30 Uhr früh ging es mit Bahn und Bus zur Arbeit. In den 1,5 Stun­den Mit­tags­pau­se wur­den oft die Haus­auf­ga­ben mit den zwei älte­ren Lehr­mäd­chen gemacht, damit abends auch mal freie Zeit war, wenn man um 20 Uhr nach Hau­se kam. Mut­ter hat­te was Lecke­res gekocht, was schnell geges­sen wur­de. Die Freun­de war­te­ten ja schon.

Die drei Jah­re Lehr­zeit ver­gin­gen wie im Flug und schon war der Prü­fungs­ter­min da. Alles lief recht gut, nur zum Prü­fungs­bes­ten hat es dann doch nicht gereicht. Die sechs Jah­re älte­re Mit­schü­le­rin, die das Che­mie­stu­di­um nach 2 Semes­tern abge­bro­chen hat­te, war dann doch unan­ge­foch­ten die Num­mer eins. Nach Abschluss der Aus­bil­dung gab es den Wech­sel zu einer ande­ren Dro­ge­rie in Würz­burg, die eine inter­es­san­te Tätig­keit mit Ver­ant­wor­tung anbot. Par­al­lel dazu war das monat­li­che Tref­fen im EDE­KA-Junio­ren­kreis immer span­nend. Da traf man sich mit selbst­stän­di­gen Kauf­leu­ten und Ein­käu­fern aus dem Groß­han­del, hör­te inter­es­san­te Vor­trä­ge und lern­te dabei vie­le neue Leu­te ken­nen. Heu­te wür­de man Netz­werk dazu sagen. Und dank die­ses Netz­werks ging es auch span­nend wei­ter …

Im Jahr 1969, der Begriff „Networking“war noch nicht geprägt, gab es vom Ver­kaufs­lei­ter der EDEKA ein inter­es­san­tes Ange­bot. Ich könn­te doch als Sub­sti­tu­ten-Anwär­ter im neu­en und größ­ten Super­markt in Würz­burg anfan­gen. Der war immer­hin 450 m² groß und mit allen moder­nen Tech­ni­ken aus­ge­stat­tet. Da gab es nicht viel zu über­le­gen und ab April ging der Weg in die Lebens­mit­tel­bran­che. Direkt dem Markt­lei­ter unter­stellt gab es für mich reich­lich neue Auf­ga­ben, viel zu ler­nen und auch Ent­schei­dun­gen zu tref­fen. Zwi­schen­durch war auch meh­re­re Wochen der erkrank­te Markt­lei­ter in einem ande­ren, klei­ne­ren Markt zu ver­tre­ten. Das bedeu­te­te Waren‑, Per­so­nal- und Geld­ver­ant­wor­tung und mach­te schon ein biss­chen stolz. Schließ­lich hat­te ich gera­de erst den Füh­rer­schein erwor­ben.

Bei einem der Tref­fen des EDE­KA-Junio­ren­krei­ses war des­sen Chef aus Ham­burg zu einem span­nen­den Vor­trag über Wei­ter­bil­dung im Han­del gekom­men. Ab dem nächs­ten Jahr soll­te ein ein­jäh­ri­ger Aus­bil­dungs­gang – das Prak­ti­kum – in Ber­lin bei aus­ge­wähl­ten Kauf­leu­ten begin­nen. Neben der prak­ti­schen Arbeit im Markt waren monat­lich ein­tä­gi­ge bzw. mehr­tä­gi­ge Semi­na­re auf dem Pro­gramm, Zwi­schen- und Abschluss­prü­fun­gen waren zu absol­vie­ren. Das war genau nach mei­nem Geschmack, das woll­te ich machen.

Gar nicht begeis­tert waren aber die Eltern von die­ser Idee. Eigent­lich hat­ten sie fest damit gerech­net, dass ich bald in die elter­li­chen Geschäf­te, die bei­de sehr gut lie­fen, ein­stei­ge und sie ent­las­te. Die gro­ße Schwes­ter hat­te näm­lich zwi­schen­zeit­lich umge­sat­telt und sich zur PTA aus­bil­den las­sen.

Im Novem­ber 1969 kam die Ein­la­dung zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch nach Ber­lin zu flie­gen! Der ers­te Flug, die gro­ße Stadt, raus aus dem Spes­sart in eine völ­lig neue Welt. Das Vor­stel­lungs­ge­spräch war auf­re­gend, aber auch erfolg­reich. Nach der kur­zen Beschrei­bung, was mich erwar­ten wür­de, unter­schrieb ich den Ver­trag. Eine möblier­te Woh­nung wür­de mir zusam­men mit noch ande­ren Prak­ti­kan­ten zur Ver­fü­gung ste­hen. Mit­zu­brin­gen waren also nur per­sön­li­che Din­ge und Beklei­dung, viel­mehr ging auch nicht als Bord­ge­päck im Flie­ger, denn ein eige­nes Auto gab es nicht. Wie­der zu Hau­se ging die Stim­mung in der Fami­lie deut­lich nach unten. Die Eltern mal­ten die Zukunft tief­dun­kel und pro­phe­zei­ten den per­sön­li­chen Unter­gang in die­ser gro­ßen und schlim­men Stadt. Immer­hin konn­te man der Zei­tung und dem Fern­se­hen ent­neh­men, dass Rausch­gift, Sex und Kri­mi­na­li­tät an der Tages­ord­nung wären. Auch die nicht gewalt­frei­en APO-Demons­tra­tio­nen, die mit Hun­dert­schaf­ten und auch mit Was­ser­wer­fern bekämpft wur­den, waren eine neue Dimen­si­on. Aber all dies konn­te die Ent­schei­dung nicht mehr umkeh­ren. Also auf ins Aben­teu­er Ber­lin!

Ber­lin ruft! Nach einer ziem­lich inten­si­ven Sil­ves­ter- und Abschieds­fei­er mit Freun­den war nun Kof­fer­pa­cken ange­sagt. Am Nach­mit­tag des 3. Janu­ars 1970 ging der PanAm-Flie­ger ab Frank­furt nach Ber­lin-Tem­pel­hof. Die gro­ße Stadt emp­fing den Ankömm­ling mit Schnee­trei­ben und Schmud­del­wet­ter. Einer der neu­en Arbeits­kol­le­gen hol­te ihn vom Flug­ha­fen ab. Über den Ku’damm und die Stadt­au­to­bahn ging es vie­le Kilo­me­ter quer­durch, die Stadt nach Nor­den. Die Beleuch­tung wur­de wie die Stra­ßen immer schlech­ter, bis wir schließ­lich vor einem gro­ßen und dunk­len Gebäu­de anka­men. Da also soll­te die Zukunft statt­fin­den – es war ein Schock! Und wer waren die ande­ren Mit­be­woh­ner in unse­rer WG? Das war als wei­te­rer Neu­ling die Mar­git, eine robus­te und immer lus­ti­ge Nürn­ber­ge­rin, die drei ande­ren Her­ren waren schon drei Mona­te län­ger in Ber­lin und in der spar­ta­ni­schen Unter­kunft. Am Ende des Flurs gab es eine zwei­fa­che Toi­let­te mit einem Hand­wasch­be­cken. Die­ses dien­te für die Mor­gen­toi­let­te und eben­so für die klei­ne Socken­wä­sche und den Geschirr-Abwasch. Die Dusche gab‘s im städ­ti­schen Hal­len­bad in Span­dau.

Der fol­gen­de Sonn­tag wur­de genutzt, um die ande­ren Mit­be­woh­ner und Kol­le­gen ken­nen­zu­ler­nen. Drei „Nord­lich­ter“, einer davon aus Däne­mark, tra­fen auf zwei Fran­ken! Das kann ja span­nend wer­den. Prompt waren sich die drei einig, sich künf­tig auf „platt­dütsch“ zu unter­hal­ten, was das Zusam­men­fin­den nicht ein­fa­cher mach­te. Aber schon nach weni­gen Wochen war auch das kei­ne Fremd­spra­che mehr und ab da ging es auch auf Hoch­deutsch.

Am Mon­tag­mor­gen ging es dann gemein­sam mit dem Auto um 5.45 Uhr los, um auch recht­zei­tig zum Dienst­be­ginn um 6.30 Uhr da zu sein. Der Markt in der Pauls­bor­ner Stra­ße in der Nähe des Ku‘damms war mit sei­nen 700 m² einer der größ­ten in Ber­lin. Wir als die Neu­en wur­den vom Markt­lei­ter ein­ge­wie­sen und durf­ten uns dann noch im Zen­tral­bü­ro beim gro­ßen Chef vor­stel­len. Dort gab es die gro­ße Moti­va­ti­on für eine auf­re­gen­de und nicht immer ein­fa­che Zeit. Frau Netz­band, die Stamm­kraft der Obst­ab­tei­lung, nahm den Neu­ling „an die Hand“und zeig­te ihm alle wich­ti­gen Punk­te der Waren­pfle­ge, Plat­zie­rung, Ver­kaufs­tech­nik und Bestel­lung von Obst und Gemü­se. Eini­ge Beson­der­hei­ten, bedingt durch die Insel­la­ge der Stadt Ber­lin, waren dabei zu beach­ten. Nicht alles war an jedem Tag ver­füg­bar. Da wur­den auch schon mal gro­ße Par­tien eines Sai­son­pro­dukts gekauft und auf­fäl­lig auf­ge­baut. Die hohe Kun­den­fre­quenz durch die Hal­te­stel­le für vier Bus­li­ni­en wur­de da-durch genutzt. Schon erstaun­lich, was da alles ver­kauft wur­de. Ab Mit­te Febru­ar war Frau Netz­band zwei Wochen im Ski­ur­laub und über­trug mir die gan­ze Ver­ant­wor­tung inkl. Ren­ta­bi­li­täts­rech­nung für die Abtei­lung mit drei wei­te­ren Mit­ar­bei­tern. Jetzt galt es, die Ärmel extra weit auf­zu­krem­peln.

Als Ende Febru­ar die Abtei­lungs­lei­te­rin Obst gut erholt aus dem Urlaub zurück­kam, war der Chro­nist schon ziem­lich erleich­tert, beson­ders nach-dem der Revi­sor von einem Top­er­geb­nis bei der Ren­ta­bi­li­täts­rech­nung sprach. Das mach­te Mut für neue Auf­ga­ben. Die lie­ßen nicht lan­ge auf sich war­ten. Ben­no, der Schlach­ter­meis­ter vom alten For­mat, nahm den Neu­ling unter sei­ne Obhut. In der Fleisch­ab­tei­lung muss­ten erst mal im Crash­kurs Grund­kennt­nis­se von Fleisch und Wurst gelernt wer­den, bevor es den ers­ten Kun­den­kon­takt unter Beob­ach­tung gab. Ben­no mit sei­ner Alt-Ber­li­ner Herz­lich­keit und Direkt­heit war schon ein beson­de­res Ver­käu­fer­ta-lent, von dem jeder viel ler­nen konn­te. Vie­le Kund(inn)en woll­ten auch nur von ihm bedient wer­den. Das tur­bu­len­te Oster­ge­schäft war vor­bei, die span­nen­de Zeit in der Fleisch­ab­tei­lung auch. End­lich war nach meh­re­ren Pro­tes­ten auch ein Umzug von der spar­ta­ni­schen Unter­kunft abseits des Zen­trums mit­ten in das Herz von Ber­lin gekom­men. Mit dem Start der neu­en Prak­ti­kan­ten zogen alle in ein gro­ßes Appar­te­ment­haus in der Wil­mers­dor­fer Stra­ße. Ich durf­te zusam­men mit Hans-Jür­gen, dem „Neu­en“ aus Cel­le, in das Ein-Zim­mer-Appar­te­ment mit Koch­ni­sche und Dusch­bad ein­zie­hen. Das war Luxus pur! Auch hat­te Hans-Jür­gen ein eige­nes Auto, was von Vor­teil war. Schnell haben wir uns im neu­en Zuhau­se ein­ge­wöhnt und kamen pri­ma mit­ein­an­der aus. Damals ahn­te kei­ner, dass die­se Freund­schaft fast 50 Jah­re bis zum heu­ti­gen Tag hal­ten wur­de. Glei­ches gilt auch für Richard, der Hans-Jür­gen aus der Zeit in der Berufs­schu­le in Cel­le kann­te. Ich selbst hat­te Richard, der schon fast ein gan­zes Jahr in Ber­lin war, 1969 bei einer EDE­KA-Tagung in Offen­burg ken­nen­ge­lernt. Und jetzt tref­fen wir uns alle auch heu­te noch, zusam­men mit den Ehe­frau­en regel­mä­ßig ein­mal bzw. auch mehr­fach für ein paar Tage irgend­wo in Deutsch­lands Städ­ten. Tele­fo­ni­sche Kon­tak­te der selbst­stän­di­gen Kauf­leu­te sind sehr viel häu­fi­ger. In den monat­li­chen Semi­na­ren wur­de das theo­re­ti­sche Rüst­zeug wie Betriebs­wirt­schaft, Per­so­nal­füh­rung, Rech­nungs­we­sen usw. ver­mit­telt. Plötz­lich soll­te dies auch in der Pra­xis ange­wandt wer­den. Der Markt­lei­ter in der Dah­l­mann­stra­ße wur­de wegen Unre­gel­mä­ßig­kei­ten ent­las­sen – und ich soll­te ab Mon­tag dort Markt­lei­ter sein. Der Revi­sor stell­te mich den Mit­ar­bei­tern als den neu­en Vor­ge­setz­ten vor, – ich war der Jüngs­te in der Mann­schaft. Nach der Schlüs­sel- und Tre­sor­über­ga­be war ich erst mal auf mich allein gestellt. Jetzt galt es, das Team auf eine neue Zukunft mit mir ein­zu­schwö­ren und den Markt wie­der auf ein gutes Niveau zubrin­gen. Es gab vie­le Über­ra­schun­gen auch mensch­li­cher Art und sehr, sehr viel Arbeit. Auch Über­stun­den waren an der Tages­ord­nung. Manch­mal kam Hans-Jür­gen nach sei­nem Dienst in der Pauls­bor­ner Stra­ße noch zum Hel­fen bei mir vor­bei, bis wir gemein­sam zur Woh­nung fuh­ren. Dort war Arbeits­tei­lung ange­sagt. Hans-Jür­gen war fürs Sau­ber­ma­chen und Auf­räu­men im Zim­mer sowie zum Ziga­ret­ten-dre­hen für uns bei­de ein­ge­teilt. Mein Bereich war das Bad und die Küche, ein-schließ­lich Kochen. So haben wir uns immer per­fekt ergänzt.

Ber­li­ner Tage hat­ten wahr­schein­lich mehr Stun­den als anders­wo. Sonst wäre das Tages­pro­gramm nicht zu schaf­fen gewe­sen. Neben ca. zehn inten­si­ven Arbeits­stun­den täg­lich gab es in die­ser Stadt noch viel mehr zu erle­ben. Und wir haben es erlebt! Schließ­lich war Ber­lin schon 1970 durch­ge­hend geöff­net, es gab kei­ne Sperr­stun­de. So muss­te ein­fach nur recht­zei­tig ent­schie­den wer­den, ob man die letz­te oder doch die ers­te U‑Bahn nach Hau­se nimmt. Und dazwi­schen gab es ja noch den Nacht­bus.

Nur bei einem Besuch in Ost-Ber­lin gal­ten ande­re Regeln, es war exakt um 24 Uhr Schluss mit lus­tig, die Vopos (Volks­po­li­zis­ten = Grenz­po­li­zei) am Grenz­über­gang Fried­rich­stra­ße kann­ten da kei­nen Spaß. Das mit dem Zwangs­um­tausch von 20 DM in Ost­mark erkauf­te Tages­vi­sum lief auf die Minu­te ab. Wenn dann mal bei­der „Aus­rei­se aus der Haupt­stadt der DDR“ eine län­ge­re Schlan­ge stand, gab es schon durch­aus einen Grund, ner­vös zu wer­den.

Die umge­tausch­ten Alu­mark – beim Ost­ber­li­ner Taxi­fah­rer war der Kurs 1:7 bis 1:11 – wur­den dann in Trin­ken und Essen umge­setzt. So kos­te­te im Café Mos­kau am Alex­an­der­platz die Fla­sche Krim­sekt 5 Mark, und das mit Live-Tanz­mu­sik. In den weni­ger zen­tra­len Stadt­tei­len wie Pan­kow gab´s den Schnaps in der Arbei­ter­knei­pe an der Ecke schon für zwan­zig Pfen­nig. Essen in den HO-Gast­stät­ten (staat­li­che Han­dels­or­ga­ni­sa­ti­on) war aber oft schwie­rig. Auf die Fra­ge nach Schwei­ne­bra­ten „ham wa nich“, Hähn­chen „ham wa nich“, Rin­der­bra­ten „ham wa nich“, kam dann die ulti­ma­ti­ve Fra­ge, was denn da wäre. Ne hal­be Ente für fünf fuff­zig kam die wenig freund­li­che Ant­wort. Also heu­te Ente satt.

Die Haupt­stadt der DDR war viel bes­ser ver­sorgt als der Rest des öst­li­chen Teils Deutsch­lands! Aber von der Aus­sichts­platt­form des Ost­ber­li­ner Fern­seh­turms am Alex konn­ten die Bür­ger den sehn­süch­ti­gen Blick in den Wes­ten Ber­lins rich­ten.

Dort ließ es sich deut­lich bes­ser leben, es herrsch­te Voll­be­schäf­ti­gung in Deutsch­land West mit nur 150 000Arbeitslosen, seit die­sem Jahr gab es die Lohn­fort­zah­lung bei Krank­heit und durch­schnitt­lich wur­den 900 DM ver­dient. Im Han­del war die Kon­kur­renz­stär­ker denn je, bei EDEKA gaben von fast 35 000 zu Jah­res­be­ginn akti­ven Kauf­leu­ten deutsch­land­weit 2700 auf. Dafür wuch­sen die Ver­kaufs­flä­chen wei­ter und auch neue Unter­neh­mer mit meh­re­ren Filia­len waren zu fin­den. Inden Läden wur­den die Waren jetzt mit gedruck­ten Preis­eti­ket­ten aus­ge­zeich­net. Gute Kas­sie­re­rin­nen hat­ten aber mehr als 1000 Prei­se sicher im Kopf und waren so viel schnel­ler beim Ein­tip­pen in der Kas­se. Der Strich­code und die Scan­ner waren da auch noch nicht erfun­den.

Zu die­ser Zeit kos­te­te das Brot 1,30/kg, ein Paket But­ter oder 10 Eier 1,90/kg. Zucker 1,20 und 1kg Schwei­ne­fleisch 6,20DM. Ben­zin war für 0,57 und Heiz­öl für 0,08 DM zu haben. Im Wirts­haus kos­te­te der hal­be Liter Bier 0,70DM. Dort fand auch bei der Fuß­ball-WM in Mexi­co das „public viewing“statt und MANN gönn­te sich auch mal ein Glas mehr. Nur der Chro­nist hat­te als Nicht-Fuß­ball­be­geis­ter­ter das End­spiel ver­schla­fen.

Jetzt war schon fast ein hal­bes Jahr der Ber­li­ner Zeit ver­gan­gen, die Fami­lie und die Freun­de in Lohr war­te­ten schon lan­ge auf den Hei­mat­be­such. Arbeit­neh­mern aus dem „Wes­ten“ spen­dier­te der Senat halb­jähr­lich einen Frei­flug nach Hau­se. Den woll­te ich auch nicht ver­fal­len las­sen, also gab es einen Hei­mat-Kurz­ur­laub. Geflo­gen wur­de mit PanAm, BEA oder Air France, denn nur die Alli­ier­ten durf­ten den Luft­kor­ri­dor nach West­ber­lin nut­zen.

Die Zeit in Ber­lin war aber wie im Flug ver­gan­gen, weil es so viel zu erle­ben gab. Beruf­lich wuch­sen die Anfor­de­run­gen stän­dig. Urlaubs- oder Krank­heits­ver­tre­tun­gen in den ande­ren Märk­ten wech­sel­ten sich ab, immer wie­der neue Auf­ga­ben waren zu lösen. Auch ein Urlaub stand an, es ging zusam­men mit Hans-Jür­gen – mei­nem Kol­le­gen und Mit­be­woh­ner – für zwei Wochen nach Mal­lor­ca.

Gut erholt zurück, gab es die neue Auf­ga­be, im Zen­tral­bü­ro die Grund­la­gen der Fili­al­ab­rech­nung und der Waren­wirt­schaft zu erler­nen. Ganz schön auf­wen­dig, es gab ja noch kei­ne Com­pu­ter. Dafür aber reich­lich Papier und For­mu­la­re. Rück­bli­ckend ein irrer Auf­wand, der aber für die Trans­pa­renz und Steue­rung des Unter­neh­mens nötig war. Zu den wöchent­li­chen Waren­bör­sen durf­te ich den Pro­ku­ris­ten beglei­ten. Dabei wur­den auch grö­ße­re Auf­trä­ge oder Kon­trak­te mit der Indus­trie bzw. Lie­fe­ran­ten abge­schlos­sen, die Ware dann nach einem fest­ge­leg­ten Schlüs­sel auf die Märk­te ver­teilt. Ich hat­te ver­stan­den – viel Ware hilft viel Ware zu ver­kau­fen. Das galt aber nur für den Wes­ten Ber­lins, bei Besu­chen im Ost­teil wur­de der Man­gel deut­lich sicht­bar. Wenn es dort Waren­ber­ge gab, dann nur von Din­gen, die alle schon hat­ten oder kei­ner brauch­te. Der Fünf-Jah­res­plan ließ grü­ßen.

Im Wes­ten der Stadt pul­siert das Leben, die Men­schen leben in vol­len Zügen. Der Bahn­hof Zoo war nicht nur Bahn­hof, und man konn­te dort nicht nur Rei­se­pro­vi­ant kau­fen. Dort gab es alles, wovor uns unse­re Eltern immer gewarnt hat­ten. Das Café Kranz­ler war noch ein Café, im Euro­pa­cen­ter gab es nicht nur die Sta­chel­schwei­ne, son­dern auch eine öffent­li­che Eis­bahn. Das Musi­cal HAIR wur­de erst­mals auf­ge­führt und im Con­gress-Zen­trum trat Udo Jür­gens auf. Im Sport­pa­last gab’s das legen­dä­re Sechs­ta­ge­ren­nen, aber auch ein Kon­zert von Deep Pur­ple. Und immer mal wie­der eine nicht nur gewalt­freie Demons­tra­ti­on der APO, die ‘68er waren viel­sei­tig aktiv. Dabei waren auch erst­mals die neu­en Was­ser­wer­fer zu sehen. Und wir waren mit­ten­drin. Viel dra­ma­ti­scher war die Ent­ste­hung der RAF, der Baa­der-Mein­hof-Grup­pe, die über 28 Jah­re das Land ter­ro­ri­sier­te und in die­ser Zeit 34 Men­schen ermor­de­te.

Es weht der Wind des Wan­dels durch die Gesell­schaft. Hip­pies und Flower-Power, die sexu­el­le Befrei­ung und die Eman­zi­pa­ti­on der Frau­en, Midi-Mode, Strick­klei­der und Schlag­ho­sen, das letz­te Album der Beat­les und die Tren­nung der Band. Es war eine span­nen­de und inten­si­ve Zeit, die wir in die­ser Stadt erle­ben durf­ten. Wahr­schein­lich das wich­tigs­te Jahr im Leben des Chro­nis­ten.

Ber­lin hat(te) für jeden was zu bie­ten.

Wie schnell doch die Zeit ver­geht. An einem schö­nen Herbst­sonn­tag lud der Chef sei­ne 14 Prak­ti­kan­ten auf sein Wochen­end­grund­stück an der Havel ein. Er woll­te damit „den jun­gen Leu­ten für ihr beson­de­res Enga­ge­ment dan­ken“. Die Markt­lei­ter und auch der Pro­ku­rist ver­sorg­ten uns zusam­men mit Ben­no, dem Metz­ger­meis­ter, mit Essen und Trin­ken „satt“, am nächs­ten Mor­gen fehl­ten dann nicht nur ein paar Stun­den Schlaf. Aber wir waren alle hart im Neh­men.

Für einen Teil unse­rer Grup­pe nah­te das Ende des Prak­ti­kums. Davor war aber noch eine Woche Semi­nar im EDE­KA-Bil­dungs­zen­trum in Schlan­gen­bad (Tau­nus) mit der anschlie­ßen­den drei­tä­gi­gen Prü­fung zu bestehen. Also tauch­ten alle noch inten­si­ver in den Lern­stoff ein, auch wenn es nach einem 10-Stun­den-Arbeits­tag nicht immer leicht­fiel. Am meis­ten half dabei das gemein­sa­me Ler­nen in der Grup­pe, damit alle auf den etwa glei­chen Wis­sens­stand kamen. Fast schon klar, dass auch alle aus unse­rer Grup­pe die Prü­fung ordent­lich bestan­den haben. Jetzt waren wir qua­li­fi­ziert, um als Sub­sti­tut oder Markt­lei­ter die nächs­te beruf­li­che Stu­fe zu neh­men. So kam es zu dem Vor­stel­lungs­ge­spräch in Cel­le, wo ein Kauf­mann einen Sub­sti­tu­ten für sei­nen 350 m² gro­ßen Markt such­te. Das war inter­es­sant, weil ich die schö­ne Stadt Cel­le bereits als Besu­cher kann­te. Sie war die Hei­mat­stadt von Hans-Jür­gen, mei­nem Mit­be­woh­ner im Zim­mer, und ich hat­te ihn bei Wochen­end­be­su­chen zu Hau­se mehr­fach beglei­tet. Ein kur­zer Flug mit der Pro­pel­ler­ma­schi­ne der Bri­tish Air­ways nach Han­no­ver, wo mich der neue Chef abhol­te. Die 40 km Fahr­stre­cke und eine Kaf­fee­stun­de reich­ten aus, um den „gemein­sa­men Draht“zu fin­den. Die neue Auf­ga­be hör­te sich span­nend an. Der erst seit gut zwei Jah­ren bestehen­de Markt in einer Laden­zei­le des Neu­bau­ge­biets, mit Bus­hal­te­stel­le direkt vor der Türe, hat­te reich­lich Park­plät­ze und war von der nahen Bun­des­stra­ße gut sicht­bar und erreich­bar. Da sah auch ich ein gutes Poten­zi­al für Umsatz­stei­ge­rung. Das ange­bo­te­ne Gehalt sowie die freie Nut­zung des Fir­men­au­tos waren inter­es­sant, also waren wir uns schnell einig, ab Janu­ar 1971 in Cel­le zu star­ten. Bei einem gemein­sa­men Abend­essen wur­de der Ver­trag per Hand­schlag geschlos­sen, for­mal war er noch durch die EDE­KA-Zen­tra­le zu bestä­ti­gen. Für die Rück­rei­se nach Ber­lin soll­te ich noch ein Auto von Cel­le über­füh­ren. Kein Pro­blem, weil der Weg ja schon bekannt war. An der GÜST (Grenz­über­gang­stel­le) Helm­stedt in die DDR „ein­rei­sen“, um dann auf direk­tem Weg über die Inter­zo­nen-Auto­bahn nach West­ber­lin zufah­ren. Was der Chro­nist dabei erleb­te, erfah­ren Sie in der nächs­ten Aus­ga­be.

Der Bru­der von Hans-Jür­gen, mein Zim­mer­ka­me­rad, woll­te sei­nen Fiat 124 in Ber­lin ver­kau­fen, weil dort mehr zu erlö­sen war. Da es gut mit dem Vor­stel­lungs­ter­min zusam­men pass­te, über­nahm ich die Auf­ga­be.  ´ne gute Stun­de bis zur Gren­ze in Helm­stedt und dann noch gut 2,5 Stun­den Inter­zo­nen­au­to­bahn, also ist die Abfahrt um 23 Uhr aus­rei­chend, um am nächs­ten Mor­gen um 7 Uhr zur Arbeit zu kom­men. Soweit der Plan …

Kurz nach Mit­ter­nacht war die GÜST Helm­stedt erreicht und ich gab mei­nen Ber­li­ner Aus­weis (wegen der Wehr­pflicht war der ers­te Wohn­sitz Ber­lin) an der Kon­troll­stel­le ab. Eine gan­ze Rei­he wei­te­rer Tran­sit­rei­sen­der hat­ten vor mir das glei­che getan, ohne die Ein­rei­se­pa­pie­re zurück­zu­be­kom­men. Schon über eine Stun­de war­te er hier schon, erzähl­te mir ein jun­ger Mann, der um 3 Uhr schon in der Back­stu­be ste­hen soll­te. Im Neben­zim­mer spiel­ten vier Vopos Kar­ten und dach­ten nicht dar­an, unse­re Papie­re zu bear­bei­ten. Gegen 1.30 Uhr gab’s für eini­ge War­ten­de, auch für mich die obli­ga­to­ri­sche Befra­gung nach Zweck und Ziel der Fahrt und Kon­trol­le der Fahr­zeug­pa­pie­re. Zum Glück hat­te mir der Hal­ter eine Beschei­ni­gung aus­ge­stellt, dass ich sein Fahr­zeug über­füh­re. Die Fahr­zeug­kon­trol­le wur­de – oh Schreck – durch eine Gren­ze­rin durch­ge­führt. Nach dem Rund­gang ums Auto, dem Blick mit rol­len­den Spie­geln am Unter­bo­den des Fahr­zeugs sah sie mei­ne Kame­ra auf dem Rück­sitz lie­gen. Was ich damit mache, war die Fra­ge. Natür­lich foto­gra­fie­ren – was soll­te ich denn sonst ant­wor­ten. Nun war die Kame­ra eine EXA I, gebaut bei der Iha­gee in Dres­den (und gegen DM in den Wes­ten expor­tiert), die ich wäh­rend mei­ner Aus­bil­dung gekauft hat­te. Arg­wohn war der VOPOin deut­lich anzu­se­hen, wie sie dann nach dem Kauf­be­leg frag­te, den ich natür­lich nicht hat­te. „Dann fah­ren Sie mal da drü­ben in die Gara­ge“, kam die mes­ser­schar­fe Ansa­ge. Dort durf­te ich mehr als das hal­be Auto, das ich nicht kann­te, zer­le­gen. Sämt­li­che Fächer lee­ren, Rück­sitz­bank raus, Kof­fer­raum­ver­klei­dung und Rad­kap­pen demon­tie­ren. Wo ich nicht wei­ter wuss­te, konn­te mir die „Dame“ jeden Hand­griff erklä­ren, ohne selbst etwas zu tun. Inzwi­schen war es schon fast 4 Uhr, als immer noch nichts zu fin­den war. Ich kön­ne jetzt wei­ter fah­ren, mein­te die„nette“ VOPOin. Mit Wut im Bauch bau­te ich das Nötigs­te wie­der zusam­men und fuhr los.

Als ich end­lich müde in Ber­lin ankam, war mir klar gewor­den, dass ich die­sen Staat nie wie­der im Leben betre­ten wer­de. Die­ser Vor­satz hielt auch so bis Anfang 1990. Das men­schen­ver­ach­ten­de Regime soll­te mich nie wie­der­se­hen!

Das Jahr in Ber­lin ging lang­sam zu Ende. Es war ein erleb­nis­rei­cher und wich­ti­ger Abschnitt, der für die Zukunft prä­gend war. Die Vor­be­rei­tun­gen dazu waren alle(?) getrof­fen und Cel­le war­te­te mit der nächs­ten Her­aus­for­de­rung. Der Umzug dort­hin war kein Pro­blem, weil Hans-Jür­gen – mein Zim­mer­ka­me­rad – mei­ne weni­gen Hab­se­lig­kei­ten ein­fach in sei­ne Hei­mat­stadt mit­nahm. Ich hat­te noch einen Frei­flug nach Hau­se und habe die rest­li­chen Urlaubs­ta­ge in Lohr ver­bracht. Um nicht als Sol­dat die­nen zu müs­sen, war ich mit ers­tem Wohn­sitz bei einem Ber­li­ner Poli­zis­ten gemel­det, in Cel­le gab es dann den Zweit­wohn­sitz. Die möblier­te Ein­lie­ger­woh­nung im Nach­bar­dorf bei net­ten Ver­mie­tern war schnell gefun­den. Da ich das Fir­men­au­to für den Weg zur Arbeit kos­ten­frei nut­zen durf­te, war das auch kein Pro­blem.

Am Mon­tag, 4. Janu­ar 1971 soll­te es für mich los­ge­hen, hat­te mein neu­er Chef mir mit­ge­teilt. So hat­te ich das Wochen­en­de davor genug Zeit, um mit dem Zug nach Cel­le zu fah­ren, mei­ne neue Blei­be zu bezie­hen, und mich häus­lich ein­zu­rich­ten.

Sonn­tag­nach­mit­tag war ich noch bei Fami­lie Jentsch zum Kaf­fee ein­ge­la­den, am Mon­tag um 6.00 Uhr ging es dann im Markt los. Der Chef zeig­te mir alle Räu­me im Markt und stell­te mich sämt­li­chen Mit­ar­bei­tern als sei­nen neu­en Stell­ver­tre­ter vor. Dann war Mit­hil­fe beim Ein­räu­men der Obst­ab­tei­lung die nächs­te Auf­ga­be. Alles war etwas klei­ner als in Ber­lin – auch das Sor­ti­ment, weil ja Cel­le kei­ne Groß­stadt war. Herr Jobst, der Metz­ger­meis­ter, zeig­te mir die Fleisch­ab­tei­lung, wo er auch selbst ver­schie­de­ne Wurst­sor­ten pro­du­zier­te. Pas­send zur Grün­kohl­zeit war heu­te fri­sche Bre­gen­wurst (damals noch mit Hirn her­ge­stellt) an der Rei­he. Für mich war das völ­li­ges Neu­land, aber inter­es­sant. Und mir war klar, dass sich in die­sen Bereich inten­si­ver hin­ein­schnup­pern woll­te. Aber alles zu sei­ner Zeit.

Anschlie­ßend kam Frau Wunn, die Büro­che­fin, um die orga­ni­sa­to­ri­schen Abläu­fe zu erklä­ren und die nöti­gen Unter­la­gen zu zei­gen. Hier die Kas­sen­be­rich­te, da die täg­li­chen Lie­fer­schei­ne und Rech­nun­gen. Lau­fen­de und zukünf­ti­ge Wer­bung fand sich in die­sem Schrank und, und, und … Herr Jentsch erklär­te mir die täg­li­che Kas­sen­ab­rech­nung, die wir dann am Abend nach 18.30 Uhr zusam­men durch­führ­ten.

Es war fast 20.00 Uhr, als ich zusam­men mit dem Chef den Markt abschloss und er mir ein Schlüs­sel­bund in die Hand drück­te. Mor­gen früh um 6.00 auf­schlie­ßen, er kommt dann nach dem Früh­stück, um mir die wei­te­ren Din­ge zu erklä­ren.

Ich war froh, als ich mich end­lich in den Fir­men­lie­fer­wa­gen set­zen konn­te, um zu mei­ner Woh­nung zu fah­ren. Und ich habe wirk­lich gut geschla­fen!

Im Gebiet Han­no­ver-Cel­le wird ja das reins­te Hoch­deutsch gespro­chen, da war es rat­sam, den inzwi­schen gelern­ten Ber­li­ner Jar­gon abzu­le­gen. Trotz­dem konn­te man­cher auf­grund des­ge-R-oll­ten „R“ mei­ne f‑R-änki­sche Her­kunft erken­nen. Älte­re Kun­den aus der Hei­de spra­chen aber auch noch tiefs­tes Heid­jer Platt. Man lernt nie aus!

Im Markt genoss ich viel Frei­heit und konn­te ent­spre­chend neue Ideen erfolg­reich umset­zen. Mit Herrn Jobst, dem Metz­ger­meis­ter und dem gan­zen Team wur­de ein gro­ßes Schlacht­fest­or­ga­ni­siert. In der Pas­sa­ge der Ein­kaufs­zei­le ver­kauf­ten wir in einer Woche einen gan­zen Eisen­bahn­wag­gon voll Oran­gen. Ein 10-Liter Eimer, gefüllt mit so viel Oran­gen wie mög­lich, für nur fünf DM! An der Bus­hal­te­stel­le vor der Tür stan­den die Kun­den mit jeweils einem Eimer links und rechts an. Und man­che Land­wir­te kamen mit Tre­cker und Anhän­ger an, um das hal­be Hei­de­dorf zu ver­sor­gen. Durch die auf­fäl­li­ge Zei­tungs­wer­bung konn­ten wir vie­le neue Kun­den errei­chen und gewin­nen. Die Umsät­ze stie­gen deut­lich an, der Chef war recht zufrie­den und immer sel­te­ner im Markt zu sehen. Plan­te er schon zu die­ser Zeit den neu­en Markt mit mehr als 1 000 m² Ver­kaufs­flä­che weni­ge Kilo­me­ter ent­fernt an der Kreu­zung zwei­er Bun­des­stra­ßen?

Auch pri­vat ging es auf­wärts. Durch Tele­fo­na­te ins Schwa­ben­land konn­te ich die alte Brief­freund­schaft aus dem Jahr 1967 wie­der bele­ben. Maria bekam Lust, zu mir nach Cel­le zukom­men und bewarb sich im dor­ti­gen Kran­ken­haus. Der Chef­arzt der Strah­len­the­ra­pie such­te eine Sekre­tä­rin und so star­te­te sie ab April mit der neu­en Auf­ga­be. Das Zim­mer im Schwes­tern­wohn­heim war prak­tisch, aber sel­ten benutzt. Die Arbeit in der neu­en Kli­nik war schon ziem­lich stress­frei, oft war auch schon nach der Mit­tags­pau­se Fei­er­abend. Mit so viel Frei­zeit woll­te Maria auf Dau­er nicht leben und such­te sich eine zwei­te Auf­ga­be. Bei dem EDE­KA-Kol­le­gen Dit­tel gleich beim Kran­ken­haus konn­te sie am Nach­mit­tag dann für ein paar Stun­den an der Käse­the­ke aus­hel­fen und etwas dazu­ver­die­nen. So kam die Zeit, wo wir gemein­sam über ein eige­nes Auto nach­dach­ten, selbst­ver­ständ­lich was Gebrauch­tes. Von einer Mit­ar­bei­te­rin erfuhr ich, dass ihr Nach­bar, ein Ober­lan­des­ge­richts­prä­si­dent a. D. kurz nach sei­nem 75. Geburts­tag sein Auto ver­kau­fen wol­le. Bei einem Besuch am nächs­ten Tag wur­den wir uns schnell han­dels­ei­nig. Der Ford P3, auch Bade­wan­ne genannt, hat­te schon 10 Jah­re und gut 70 000 km hin­ter sich, war werk­statt­ge­pflegt und hat­te noch über­ein Jahr TÜV. Da war der Preis von 700 DM akzep­ta­bel. Zu die­ser Zeit hät­te einer der neu­en Taschen­rech­ner, so groß wie zwei Ziga­ret­ten­schach­teln, aber mit vier Grund­re­chen­ar­ten(!) noch 1 200 DM gekos­tet.

Schon am nächs­ten Wochen­en­de, den Sams­tag hat­te ich frei, fuh­ren wir gemein­sam mit dem Auto nach Lohr. Maria konn­te sich dabei erst­mals bei mei­ner Fami­lie vor­stel­len.

Im Fern­se­hen gab es nicht nur die rea­le Welt, beim WDR wur­de ab 1971 die aus den USA kom­men­de Sesam­stra­ße zum ers­ten Mal gezeigt. Jun­ge Frau­en zeig­ten sich frei­zü­gig in ihren Hot­pants. Und vie­le bun­te „Pril“-Blumen zeig­ten sich in der Küche auf Flie­sen, Tas­sen und Kühl­schrank­tü­ren.

Auch wir zeig­ten in unse­rem Markt, wel­che Pro­duk­te der Sai­son direkt aus der Nach­bar­schaft in Super­fri­sche zu Super­prei­sen ange­bo­ten wer­den. Lecker Spar­gel, gefolgt von den aro­ma­ti­schen Erd­bee­ren, jeden Mor­gen frisch vom Bau­ern geholt. Das sprach sich bald her­um und sorg­te für kräf­ti­gen Zuspruch und neue Kun­den. Kna­cki­ge Radies­chen, Kohl­ra­bi und Blu­men­kohl tau­frisch aus der Hei­de waren die bes­te Wer­bung. Herr Jobst steu­er­te dazu die pas­sen­den Pro­duk­te aus der Metz­ge­rei bei, auch der Bäcker und der Dro­gist aus der Ein­kaufs­zei­le war­ben für ihre Pro­duk­te mit uns zusam­men. So ent­wi­ckel­te sich der Umsatz deut­lich nach oben. Und der Chef strahl­te, wenn er auch immer sel­te­ner zu sehen war. Auch am Sonn­tag ging ich manch­mal für eini­ge Stun­den in den Markt, um z. B. in Ruhe die Pla­ka­te für die nächs­te Wochen­wer­bung zuschrei­ben. Maria nutz­te dabei die Zeit, um mal ein Regal zu ord­nen oder die Halt­bar­keits­kon­trol­le zuma­chen. Dabei konn­te sie vie­les im Sor­ti­ment ken­nen­ler­nen.

Hans-Jür­gen, der Zim­mer­ka­me­rad aus der Ber­li­ner Zeit, war seit April wie­der nach dem Aus­bil­dungs­en­de nach Cel­le zurück­ge­kehrt und arbei­te­te in sei­nem frü­he­ren Markt. In der frei­en Zeit konn­ten wir zusam­men mit sei­ner Freun­din (und heu­ti­gen Frau) Hei­de vie­les gemein­sam unter­neh­men und die Umge­bung ken­nen­ler­nen. Und der But­ter­ku­chen bei sei­ner Mut­ter schmeck­te immer beson­ders gut. Immer wie­der tra­fen wir uns auch beim Groß­han­dels­la­ger oder Obst­la­ger der EDEKA Cel­le, wo man schnell mal kurz­fris­tig Nach­schub holen konn­te. Zu die­ser Zeit gab es immer­hin noch 106 regio­na­le EDE­KA-Genos­sen­schaf­ten mit ca.31 700 Kauf­leu­ten. Heu­te ver­sor­gen die sie­ben Regio­nal­ge­sell­schaf­ten die 3 800 selbst­stän­di­gen Ede­ka­ner mit ihren ins­ge­samt 5.800 Märk­ten in ganz Deutsch­land. Mein Chef, der als Auf­sichts­rat der EDEKA Cel­le auch einen Wis­sens­vor­sprung hat­te, dach­te schon sehr bald über wei­te­re Expan­sio­nen nach. Einen neu­en und mit mehr als 1.000m² gro­ßen Markt woll­te er in der Nähe in ver­kehrs­güns­ti­ger Lage bau­en und ich soll­te dort Markt­lei­ter wer­den. Nur eine Bau­ge­neh­mi­gung zu errei­chen, erwies sich als extrem schwie­rig. Letzt­lich ist der Markt an die­sem Stand­ort nie gebaut wor­den.

Maria und ich fühl­ten uns in Cel­le rund­um wohl und die Frei­zeit wur­de inten­siv mit den neu­en Freun­den genutzt. Pri­va­te Feten, Schüt­zen­fes­te auf den Dör­fern oder Spritz­tou­ren mit dem Auto und mehr sorg­ten für Abwechs­lung.

Auch im Markt sorg­ten wir für Abwechs­lung. An einem lan­gen Wochen­en­de haben wir in Tag- und Nacht­ar­beit fast den gan­zen Laden auf den Kopf gestellt und umge­baut. Gan­ze Rega­le wur­den ver­scho­ben und die Obst­ab­tei­lung um die Hälf­te ver­grö­ßert. Unter­stützt haben uns dabei auch Maria, Hans-Jür­gen mit sei­ner Hei­de und eini­ge Freun­de aus unse­rer Cli­que. Am Mon­tag­mor­gen staun­ten die Kun­den, als sie das deut­lich grö­ße­re Ange­bot in der Obst­ab­tei­lung über­rasch­te.

Eine ganz ande­re Über­ra­schung lag Ende Okto­ber in mei­nem Brief­kas­ten. In dem Schrei­ben lud das Kreis­wehr­ersatz­amt Cel­le mich für den 10. Novem­ber zur Mus­te­rung ein. Ich und Mus­te­rung, das war wohl ein Scherz. Schließ­lich hat­te ich einen Ber­li­ner Per­so­nal­aus­weis und war mit Erst­wohn­sitz bei einem Ber­li­ner Poli­zis­ten gemel­det. Also habe ich mit dem Kreis­wehr­ersatz­amt tele­fo­niert, um den Ter­min abzu­sa­gen. Da hat mir der Dienst­stel­len­lei­ter sehr unmiss­ver­ständ­lich klar­ge­macht, dass ich zum ange­ge­be­nen Ter­min zu erschei­nen habe, andern­falls wür­de die Mili­tär­po­li­zei mich abho­len. Die Befra­gung und ärzt­li­che Unter­su­chung ergab: taug­lich für alle Waf­fen­gat­tun­gen außer Luft­waf­fe. Der Ein­wand, dass ich Waf­fen­geg­ner sei, inter­es­sier­te nie­mand. Eine Woche spä­ter kam der Ein­be­ru­fungs­be­scheid zum zwei­ten Janu­ar 1972 nach Hard­heim in „Badisch Sibi­ri­en“ zur Grund­aus­bil­dung. Für mich brach eine Welt zusam­men, alle Plä­ne lös­ten sich in Luft auf.

Da erin­ner­te ich mich an den Ver­käu­fer mei­nes Autos, den Ober­lan­des­ge­richts­prä­si­den­ten a. D. Ich rief ihn an und bat ihn, mich zu unter­stüt­zen. Es konn­te aus mei­ner Über­zeu­gung nicht sein, dass ein Ber­li­ner Bür­ger zum Wehr­dienst ver­pflich­tet wer­den kann. Er war glei­cher Mei­nung und ver­sprach, sich dar­um zu küm­mern. Zwei Tage spä­ter rief er zurück und nann­te mir einen Ter­min im Kreis­wehr­ersatz­amt, zu dem er mich beglei­ten woll­te. Dort wur­de uns über­deut­lich erklärt, dass bis zum 21. Geburts­tag der Wohn­sitz der Eltern maß­geb­lich ist, selbst wenn man dort weder wohnt noch gemel­det ist. Das war selbst mei­nem juris­ti­schen Beglei­ter so nicht bekannt. Jetzt wur­de mir klar, dass der Staat den letzt­mög­li­chen Ter­min nutz­te, um mich­noch vor mei­nem 21. Geburts­tag zum­Sol­da­ten zu machen. Ein Ver­fah­ren­Chro­nik XVIII als Kriegs­dienst­ver-wei­ge­rer wäre auf­grund­der Kurz­fris­tig­keit­zweck­los gewe­sen. Soer­gab ich mich mei-nem Schick­sal und­be­rei­te­te mich vor,zukünftig Sicher-heit fürs Volk zupro­du­zie­ren.

Das Jahr 1972 soll­te eini­ges an Ver­än­de­run­gen brin­gen. Am Abend des 2. Janu­ar rück­te ich in der Kaser­ne zum Dienst­an­tritt ein. Tage spä­ter muss­te ich – unter Pro­test – das Gewehr in Emp­fang neh­men. Mei­ne Ant­wort war: Man kön­ne mich zwin­gen, die Waf­fe zutra­gen, aber nicht damit zu schie­ßen, da ich Waf­fen­geg­ner sei. Dazu gab es kei­nen Bei­fall. Kei­nen Bei­fall wert war auch die nato-oli­ve und filz ähn­li­che Win­ter­uni­form mit Stahl­helm, der nur unge­nü­gend die lan­gen Haa­re mit Haar­netz abdeck­te.

Maria woll­te nicht län­ger allein in Cel­le blei­ben. Nach­dem klar war, dass ich nach der Grund­aus­bil­dung zum Sani­täts­ba­tail­lon nach Bad Mer­gen­theim ver­setzt wer­de, such­te sie sich dort eine pas­sen­de Stel­le in einer Kur­kli­nik. Das Ein-Zim­mer-Appar­te­ment im Haus neben­an war schnell gefun­den und der Umzug dort­hin kurz vor unse­rer Hoch­zeit an Ostern war ohne gro­ßen Auf­wand zu bewäl­ti­gen. Zuvor hat­ten auch Hei­de und Hans-Jür­gen gehei­ra­tet, um sich kur­ze Zeit danach in Ilse­de (Kreis Pei­ne) mit einem EDE­KA-Markt selbst­stän­dig zu machen.

In Bad Mer­gen­theim muss­te ich umge­hend mit der Aus­bil­dung zum LKW-Füh­rer­schein anfan­gen, da mehr Fahr­zeu­ge als Fah­rer ver­füg­bar waren. Wirk­lich Spaß hat­te ich dabei nicht, aber dem Fahr­leh­rer bei der Prü­fungs­fahrt durch eine Not­brem­sung viel Ärger erspart. Gleich danach wur­de ich für 6 Wochen zum Sani­täts­lehr­gang nach Veits­höch­heim geschickt. Der Lehr­gangs­arzt war mit 33 Jah­ren als Dozent und Lei­ter des patho­lo­gi­schen Insti­tuts der Uni Würz­burg selbst noch zum Grund­wehr­dienst ein­ge­zo­gen wor­den und nicht wirk­lich davon begeis­tert. Ich war selbst schon seit 3 Jah­ren als Aus­bil­der beim Roten Kreuz tätig und konn­te mir den Lern­stoff daher leicht erar­bei­ten. Nach einer sehr guten Prü­fung hat sich Dr. Hei­ne in der Kom­pa­nie inten­siv dafür ein­ge­setzt, dass ich auch den Sani­täts­lehr­gang II besu­chen konn­te, den ich nach wei­te­ren 6 Wochen als Lehr­gangs bes­ter abschloss. Dadurch stand mir nach irgend­ei­ner Dienst­ver­ord­nung zu, eine Pra­xis­aus­bil­dung zu absol­vie­ren. Ob im Sani­täts­be­reich einer Kaser­ne, im Bun­des­wehr­kran­ken­haus oder im Zivil­kran­ken­haus, das soll­te ich mir mal über­le­gen. Die Ent­schei­dung fiel prompt gegen die Bun­des­wehr und für das Zivil­kran­ken­haus.

Dr. Hei­ne kann­te den Chef­arzt des Kreis­kran­ken­hau­ses Bad Mer­gen­theim­recht gut, so konn­te ich mich schon eine Woche spä­ter dort vor­stel­len. Für 5 Wochen durf­te ich auf der chir­ur­gi­schen Män­ner­sta­ti­on mit­hel­fen. Dank einer hoch­pro­fes­sio­nel­len und mensch­lich tol­len Sta­ti­ons­lei­te­rin konn­te ich extrem viel ler­nen. So wur­den auf Antrag des Kran­ken­hau­ses noch zwei­mal zwei Wochen Ver­län­ge­rung geneh­migt. Bei eini­gen Ope­ra­tio­nen durf­te ich im OP dabei sein, so z. B. bei künst­li­chen Hüft­ge­len­ken oder kom­pli­zier­ten Frak­tu­ren. Es war eine inten­si­ve und sehr wich­ti­ge Zeit, die viel vom Frust durch den Wehr­dienst aus­glei­chen konn­te.

Da ich zu den ers­ten „W15“ zähl­te, also nur noch 15 Mona­te Wehr­dienst zu leis­ten hat­te, war mit dem „Berg­fest“ die zwei­te Hälf­te des wenig gelieb­ten Zeit­ab­schnit­tes erreicht. Mein Vater hat­te wegen gesund­heit­li­cher Pro­ble­me einen Antrag auf Dienst­be­frei­ung gestellt. So konn­te ich für drei Wochen zu Hau­se in den Geschäf­ten hel­fen. Dabei eröff­ne­te er mir, dass er nach der Bun­des­wehr­zeit ger­ne die Fir­ma an mich abge­ben wür­de. Ich war sehr über­rascht, aber nicht wirk­lich davon über­zeugt, ob das für Maria und mich der rich­ti­ge Weg sein soll­te. Zwei klei­ne Läden mit 60 und 70 m², kann das unse­re Zukunft sein? Und ist Lohr über­haupt der rich­ti­ge Platz für uns?

Eine gan­ze Wei­le haben wir über­legt und die Eltern haben mäch­tig Druck gemacht. Für uns kam nur die eine Alter­na­ti­ve in Fra­ge: Neu­bau eines grö­ße­ren Mark­tes und die Schlie­ßung der bei­den klei­nen Läden. Die Ein­woh­ner­zahl in der Lin­dig-Sied­lung war durch vie­le Neu­bau­ten auf mehr als 2 000 gestie­gen, sodass die Stand­ort­ana­ly­se posi­tiv aus­fiel. Die Stadt Lohr und das Land­rats­amt begrüß­ten unser Vor­ha­ben. Auch Maria und ich haben uns nach inten­si­ver Bedenk­zeit dafür ent­schie­den.

Auf dem Grund­stück am zwei­ten Laden war genü­gend Platz für einen neu­en Markt, wenn der Gar­ten und die Gara­gen geop­fert wür­den. Der Archi­tekt brach­te bei der Vor­pla­nung einen Markt mit ca. 300m² her­aus, wenn das Lager in den Kel­ler kommt. Das war für uns pas­send und wir gin­gen mit gro­ßem Eifer an die Detail­pla­nung. Der Zeit­punkt für die Eröff­nung des neu­en Mark­tes war ganz sport­lich für den Som­mer 1973 ange­dacht.

Sport­lich war die Welt ab August zu Gast bei den Olym­pi­schen Som­mer­spie­len in Mün­chen. Spit­zen­leis­tun­gen wie z. B. des ame­ri­ka­ni­schen Schwim­mers Mark Spitz, der allein sie­ben Gold­me­dail­len hol­te, waren im Fern­se­hen zu bestau­nen. Lei­der aber auch der Über­fall paläs­ti­nen­si­scher Ter­ro­ris­ten, die elf Israe­lis als Gei­seln nah­men und spä­ter ermor­de­ten. Nach einem Trau­er­tag wur­den die Spie­le fort­ge­setzt, Wil­li Dau­me begrün­de­te die­se Ent­schei­dung mit dem Satz: „Es ist schon so viel gemor­det wor­den – wir wol­len den Ter­ro­ris­ten nicht erlau­ben, auch noch die Spie­le zu ermor­den.“ In glei­cher Wei­se sprach der IOC-Prä­si­dent Avery Brunda­ge den his­to­ri­schen Satz „The Games must go on.“

Das „Spiel“ um die Bau­ge­neh­mi­gung für den Markt erwies sich als schwie­rig, weil die gefor­der­ten Park­plät­ze so nicht geschaf­fen wer­den konn­ten. Bis ich mich erin­ner­te, wie die Lösung bei dem Markt in Cel­le aus­ge­se­hen hat­te …

Der Kreis­bau­meis­ter des Land­rats­am­tes wohn­te in der Lin­dig-Sied­lung und zähl­te zu unse­ren Kun­den. Ihn anzu­spre­chen und von einer prak­ti­ka­blen Lösung für die Park­plät­ze zu über­zeu­gen, könn­te der Weg sein, auch den kri­ti­schen Stadt­rat zu bewe­gen. Die­ser hat­te die Bau­an­fra­ge vom Okto­ber 1972 nega­tiv beant­wor­tet, weil für ihn die Stell­platz­fra­ge nicht befrie­di­gend gelöst war.

Bei einem Orts­ter­min konn­ten wir dem Kreis­bau­meis­ter die Lösung vor­stel­len, die sich beim Markt in Cel­le als prak­tisch erwie­sen hat­te. Ein Park­strei­fen, par­al­lel zum Ver­lauf der Stra­ße und auf glei­chem Niveau in der Brei­te von 2,50 m statt des öffent­li­chen Geh­steigs. Die­ser wird auf dem pri­va­ten Grund­stück auf unse­re Kos­ten wie­der zur Ver­fü­gung gestellt. Somit ist eine Behin­de­rung oder Gefähr­dung der Fuß­gän­ger durch Fahr­zeu­ge aus­ge­schlos­sen. Die­ser Vor­schlag war bis­her nicht bekannt und lös­te inten­si­ve Dis­kus­sio­nen aus. Schließ­lich konn­te mit­hil­fe des über­zeug­ten Kreis­bau­meis­ters die Bau­ge­neh­mi­gung nach meh­re­ren Mona­ten erreicht wer­den. Der Nut­zungs­tausch wur­de ver­trag­lich mit der Stadt Lohr abge­si­chert. Jetzt konn­te mit der Pla­nung und Suche nach einem Bau­un­ter­neh­men begon­nen wer­den.

Unser „Kampf“ im Klei­nen mit der Bau­ge­neh­mi­gung war par­al­lel beglei­tet vom gro­ßen Kampf der poli­ti­schen und ideo­lo­gi­schen Geg­ner die­ser Welt. Qua­si als Stell­ver­tre­ter­krieg Kom­mu­nis­mus gegen Kapi­ta­lis­mus wur­de aus einem Bür­ger­krieg der unmensch­li­che Viet­nam­krieg. Jetzt zeich­ne­te sich nach fast 20 Jah­ren, drei bis fünf Mil­lio­nen Toten und fast 60 000 gefal­le­nen US-Sol­da­ten ein Ende die­ses Krie­ges ab. Im Janu­ar 1973 wur­de das Waf­fen­still­stands­ab­kom­men unter­zeich­net, bis Ende März waren alle US-Sol­da­ten aus Viet­nam abge­zo­gen.

Auch für den Chro­nis­ten ging gleich­zei­tig die Wehr­dienst­zeit zu Ende. Ent­las­sen als San Sol­dat, der zwei­mal die Beför­de­rung abge­lehnt hat­te. Jetzt galt es, mit vol­ler Kraft den Bau des Mark­tes vor­an­zu­trei­ben. Ein ört­li­cher Bau­un­ter­neh­mer war bald gefun­den, der Abriss, der auf dem Grund­stück ste­hen den Gara­gen konn­te begin­nen und ab Ende August hob der Bag­ger den Kel­ler aus. Mit viel Elan und Druck ging es sicht­bar vor­an, auch weil ich fast stän­dig auf der Bau­stel­le anwe­send war und die jewei­li­gen Gewer­ke im Ablauf koor­di­nier­te, sodass kein Leer­lauf ent­stand. Nicht immer hat‘s die Bau­leu­te gefreut, aber die Kis­te Frei­bier war doch will­kom­men. Die gro­ße Fra­ge war jetzt: Wann kann die Eröff­nung des Mark­tes sein?

Jetzt wur­de es Zeit, den Eröff­nungs­ter­min zu pla­nen. Klar ist, vor Weih­nach­ten wird es nichts mehr. Die Rega­le und Kühl­mö­bel waren schon bestellt, aber jetzt waren neben den Mit­ar­bei­tern aus den bei­den klei­nen Läden noch wei­te­re ein­zu­stel­len. Ein Metz­ger­ge­sel­le, die Fleisch­ver­käu­fe­rin und eine Dro­gis­tin muss­ten gefun­den wer­den. Maria, die Che­fin, ging für vier Wochen ins Zen­tral­bü­ro der Fir­ma Hin­ke nach Ber­lin, um dort die Fili­al­buch­hal­tung zu erler­nen. In Deutsch­land muss­ten alle aber auch jetzt ler­nen, wie abhän­gig die Wirt­schaft vom Öl ist. Die OPEC dros­sel­te die För­der­men­gen, um Druck auf die USA und Euro­pa aus­zu­üben. Der Preis für Heiz­öl stieg auf das Sechs­fa­che, auch der Ben­zin­preis ver­dop­pel­te sich. Ende Novem­ber erließ die Bun­des­re­gie­rung ein an vier auf­ein­an­der­fol­gen­den Sonn­ta­gen gül­ti­ges Fahr­ver­bot. So konn­te man auf der Auto­bahn Roll­schuh lau­fen, mit dem Fahr­rad oder mit der Pfer­de­kut­sche fah­ren. Oder ein­fach zur gemein­sa­men Wan­de­rung auf­bre­chen. Auf der Bau­stel­le ging es mit gro­ßen Schrit­ten vor­an. Das Flach­dach war recht­zei­tig vor dem ers­ten Win­ter­ein­bruch dicht, die Decken­iso­lie­rung aus Glas­wol­le habe ich mit einem Freund in Nacht­ar­beit selbst ver­ar­bei­tet. Vie­le Hand­wer­ker arbei­te­ten gleich­zei­tig auf der Bau­stel­le, um den für den 17. Januar1974 fest­ge­leg­ten Eröff­nungs­ter­min zu schaf­fen. Noch bevor die Hei­zung lief, muss­te mit den Flie­sen­ar­bei­ten begon­nen wer­den – ein ech­tes Poker­spiel, das aber gut aus­ging. Recht­zei­tig vor den Weih­nachts­ta­gen wur­den die Kühl­mö­bel ein­ge­baut und der Pro­be­lauf für die Käl­te­ma­schi­nen war erfolg­reich. Jetzt fehl­ten nur noch die Rega­le für das Sor­ti­ment und die Dro­ge­rie­ab­tei­lung, die dann in den ers­ten Janu­ar­ta­gen auf­ge­baut wur­den. Denn ab dem 7. Janu­ar roll­te die Ware an und muss­te in die Rega­le geräumt wer­den. Schwie­rig waren die Gesprä­che mit den Lie­fe­ran­ten für die Dro­ge­rie­ab­tei­lung. Vie­le taten sich schwer, die Abtei­lung in einem Lebens­mit­tel­markt als Fach­dro­ge­rie anzu­er­ken­nen. So z. B. die Fir­ma Müh­lens (4711), die uns erst mal nicht belie­fern woll­te. Aber nicht wirk­lich ver­wun­der­lich, da die„Repräsentanten“ teil­wei­se noch mit Chauf­feur unter­wegs waren. Auch im Bereich der Kos­me­tik gab es eini­ge Absa­gen, sicher auch auf Druck von „Kol­le­gen“ am Ort. Letzt­lich konn­ten wir mit einem attrak­ti­ven Sor­ti­ment star­ten, auch sorg­te die im Dro­ge­rie­shop inte­grier­te L o t t o — A n n a h m e ‑stel­le für gute Fre­quenz. Lan­ge und inten­si­ve Tage waren es, und der 17. Janu­ar rück­te immer näher.

Die Neu­eröff­nung war gut gelau­fen, jetzt konn­ten alle Mit­ar­bei­ter, aber auch wir erst mal durch­at­men. Der Sturm war vor­bei, die „nor­ma­le“ Zeit begann. Aber was ist nor­mal? Das zum gro­ßen Teil neue Team muss­te jetzt erst mal zusam­men­wach­sen. Jeder hat­te auch neue Tätig­kei­ten zu ler­nen. Der Metz­ger muss­te nicht schlach­ten, dafür galt es die Kun­den zu bedie­nen. Die Fleisch­ver­käu­fe­rin wur­de von der Che­fin auch an der Käse­the­ke ein­ge­ar­bei­tet, durf­te aber auch Brot und Back­wa­ren ver­kau­fen. Und die Dro­gis­tin lern­te die Beson­der­hei­ten der Lot­to-Annah­me­stel­le ken­nen.


Waren es doch die bes­se­ren Zei­ten? Immer­hin war der Laden Mitt­woch- und Sams­tag­mit­tag ab 12:30 Uhr geschlos­sen, Mit­tags­pau­se war von 12:30 bis 14 Uhr. So konn­te „man“ die Frei­zeit in der Schlag­ho­se und auf Pla­teau­schu­hen zur Musik von Abba auch genie­ßen. Im Fern­se­hen ver­bog Uri Gel­ler bei der Show mit Wim Thoel­ke Gabeln und Mes­ser, auch zu Hau­se wur­de das – tele­pa­thisch unter­stützt – von den Zuschau­ern pro­biert. Die aktu­el­le Tages­schau berich­te­te über den Water­ga­te-Skan­dal um den US-Prä­si­den­ten Nixon und in Wolfs­burg lief der ers­te VW Golf vom Band. Ger­ne hat man den dann mit einer neu­en Pola­roid- Kame­ra foto­gra­fiert und Sekun­den spä­ter das Bild betrach­tet.
Im Markt gin­gen die Umsät­ze dank zufrie­de­ner Kun­den ste­tig nach oben. Als ein wich­ti­ger Magnet wirk­te dabei die Fleisch­ab­tei­lung, die stark fre­quen­tiert war. So gab es bald Bedarf für wei­te­re Mit­ar­bei­ter, die wir auch fan­den. Auch in der Obst- und Gemü­se­ab­tei­lung ging es gut vor­an, obwohl es in der Sied­lung vie­le Selbst­ver­sor­ger mit eige­nem Gar­ten gab. In der Dro­ge­rie­ab­tei­lung war gut zu tun, schließ­lich gab es noch kei­ne Dro­ge­rie­märk­te wie Schle­cker oder dm.
Das Umfeld zeig­te sich jedoch weni­ger freund­lich. Aus­ge­löst durch die Ölkri­se 1973 bricht die Kon­junk­tur in Deutsch­land ein. In vie­len Indus­trie­be­rei­chen dro­hen Kurz­ar­beit und Ent­las­sun­gen. Waren es im Janu­ar 1974 noch 2,7 % = 620 Tau­send Arbeits­lo­se, sind es ein Jahr spä­ter schon 5 % = 1,15 Mio. Die Infla-
tions­ra­te steigt auf 6,9 %, die Soll­zin­sen auf über 14 %, was auch uns hart trifft. Im Mai 1974 über­nimmt Hel­mut Schmidt das Amt des Bun­des-kanz­lers von Wil­ly Brandt, der wegen der Guil­laume-Affä­re zurück­tritt. Kein leich­ter Job!
Auch wir krem­pel­ten die Ärmel ganz weit nach oben. Mit mehr als einer hal­ben Mil­li­on DM Schul­den waren wir zum Erfolg ver­dammt. Da rief auch schon mal der Bank­di­rek­tor an, ob denn die nächs­te Til­gungs­ra­te bedient wird. Obwohl er ja den aktu­el­len Kon­to­stand kann­te, nicht nur weil sei­ne eige­ne Filia­le seit April 74 in den „alten“ Laden ums Eck ein­ge­zo­gen war. So waren Arbeits­ta­ge mit 13 bis 14 Stun­den kei­ne Aus­nah­me, nur am Sonn­tag blie­ben ein paar Stun­den Frei­zeit.

Zwi­schen Neu­jahr und Drei­kö­nig hat­ten die Mit­ar­bei­ter nur teil­wei­se frei, schließ­lich war der „klei­ne“ Laden noch wei­ter geöff­net. Wäh­rend in allen Ecken noch ver­schie­de­ne Hand­wer­ker tätig waren, roll­te ab Mon­tag, den 7. Janu­ar die Ware an und muss­te jetzt in die Rega­le geräumt wer­den. Unter­stüt­zung gab es dazu auch durch Mit­ar­bei­ter aus der EDE­KA-Zen­tra­le und Freun­de der Fami­lie. Bis in die Nacht­stun­den wur­den die Waren aus­ge­zeich­net und vor die Rega­le gesetzt. Das EDE­KA-Ein­rich­tungs­team „spie­gel­te“ das Sor­ti­ment im Regal. Danach konn­ten die Hel­fer fer­tig ein­räu­men. Wenn es so weit war, wur­de das Regal mit einer Folie zuge­hängt, damit nicht gleich wie­der alles stau­big wur­de.
Es ging zu wie im Tau­ben­schlag. Über­all noch Hand­wer­ker, der Elek­tri­ker muss­te immer wie­der abschal­ten, sodass öfter auch fast im Dun­keln gear­bei­tet wur­de. Die Schrei­ner säg­ten und hobel­ten an den Ver­blen­dun­gen und Deko-Ele­men­ten, bau­ten die Obst­ab­tei­lung fer­tig auf und hal­fen mit ihrer Tat­kraft und Erfah­rung an allen Ecken. Der Seni­or­chef und die lang­jäh­ri­ge Mit­ar­bei­te­rin Edda K. waren die ruhen­den Pole und haben durch ihre Rou­ti­ne den Über­blick behal­ten. Die neu­en Mit­ar­bei­ter, aber auch die neue Che­fin, muss­ten ja in die Auf­ga­ben ein­ge­ar­bei­tet wer­den. Unter­bro­chen wur­de die Hek­tik nur, wenn die Seni­or­che­fin das Mit­tag­essen für alle brach­te. Dann ruh­te die Bau­stel­le für eine hal­be Stun­de.


Ruhe und Ent­span­nung gab es aber am Wochen­en­de auch nicht. Da waren Bestel­lun­gen für die Frisch­wa­ren zu machen, die erst zum Schluss gelie­fert und ein­ge­räumt wur­den. In der Dro­ge­rie­ab­tei­lung waren die Glas­bö­den der Rega­le der­art ver­staubt, dass sie vor dem Ein­räu­men erst mal noch gründ­lich geputzt wer­den muss­ten. Lei­der fehl­te uns zum Start noch eine gan­ze Rei­he von Kos­me­tik­ar­ti­keln, die zuge­sagt, aber nicht recht­zei­tig gelie­fert wur­den.


Auch die Rede für die Eröff­nungs­fei­er am Vor­abend war noch nicht geschrie­ben. Wer hat­te sich von den ein­ge­la­de­nen Gäs­ten ange­mel­det und wer fehl­te noch oder hat­te sich ent­schul­digt? Schließ­lich soll­te nie­mand bei der Anspra­che ver­ges­sen wer­den.

Am Mon­tag und Diens­tag ging es dann mit Voll­dampf in die letz­te Run­de. Die Mol­ke­rei- und Tief­kühl­pro­duk­te wur­den ein­ge­räumt, für die Metz­ge­rei war die ers­te Wurst­lie­fe­rung schon da. Am Mitt­woch wur­de das Fleisch und teil­wei­se das Obst und Gemü­se gelie­fert. Auch für den Dro­ge­rie­shop kamen lau­fend neue Pake­te an. Noch sah alles nach gro­ßem Cha­os aus.

Für 19:00 Uhr waren die Gäs­te zur Eröff­nungs­fei­er gela­den. Die Häpp­chen waren gerich­tet, der Sekt kalt gestellt. Jetzt noch alle schnell umzie­hen, wäh­rend die Putz­frau alles noch mal sau­ber mach­te.


Pünkt­lich kamen die Gäs­te an. Herr Direk­tor Rei­nelt mit Gat­tin von der EDEKA Würz­burg, der Bau­un­ter­neh­mer, der Pfar­rer und der Lei­ter des Vete­ri­när­amts, der Vor­sit­zen­de des Ein­zel­han­dels­ver­bands und wei­te­re Gäs­te wur­den durch die Fami­lie Engel­hard mit einem Glas Sekt emp­fan­gen. Nach einer kur­zen Rede zeig­te der Chro­nist den Ehren­gäs­ten die ver­schie­de­nen Abtei­lun­gen des Mark­tes. In Bedie­nung gab es Fleisch, Wurst, Käse und Back­wa­ren. Im Dro­ge­rie­shop (mit Lotto–Annahmestelle) freu­te sich die Dro­gis­tin dar­auf, die Kun­den zu bera­ten. Und nach der gut bestück­ten Obst­ab­tei­lung war­te­te an der Kas­se noch Edda K., unse­re lang­jäh­ri­ge Mit­ar­bei­te­rin, die fast jeden Kun­den mit Namen und der
Fami­li­en­ge­schich­te kann­te.

Mit gro­ßem Stau­nen hör­ten die Gäs­te, dass seit dem Abriss der Gara­gen bis zu die­sem Eröff­nungs­tag gera­de mal fünf Mona­te ver­gan­gen waren. Das war schon eine Super­leis­tung aller am Bau und Aus­bau betei­lig­ten Fir­men, wofür es auch ein extra Dan­ke schön gab.


Die Par­ty war vor­bei, alle Gäs­te wie­der auf dem Heim­weg, und wir waren ziem­lich müde, aber auch zufrie­den. Gera­de woll­ten wir den Markt durch den Hin­ter­ein­gang ver­las­sen, da hör­te ich ein star­kes, kna­cken­des Geräusch aus der Fleisch­ab­tei­lung. Schnell erkann­te ich, es kommt aus dem Kühl­haus. Beim Öff­nen der Türe war der Schreck rie­sen­groß. Das gan­ze Gehän­ge mit dem dar­an auf­ge­häng­ten Fleisch kam mir wie in Zeit­lu­pe ent­ge­gen. Immer­hin sieb­zig Strän­ge Kote­lett, jeder acht bis zwölf Kilo­gramm schwer, waren wohl für die Ankerd­ü­bel zu viel. Jetzt muss­te es schnell gehen. Ich stemm­te mich mit aller Kraft gegen das Gestän­ge und Maria, mei­ne Frau im fei­nen Kos­tüm, hol­te eine gro­ße Plas­tik­fo­lie und leg­te Strang für Strang die Kote­letts dar­auf ab. Mehr Sport ging nicht!


Nach einer kur­zen Nacht waren alle wie­der ab sechs Uhr im Ein­satz. Alle Vor­be­rei­tun­gen muss­ten bis neun Uhr abge­schlos­sen sein, damit wir unse­re Kun­den emp­fan­gen konn­ten. Der Ansturm war groß, die Zufrie­den­heit auch, und der Eröff­nungs­tag lief ohne wei­te­re Stö­run­gen mit gutem Erfolg ab. Immer­hin 1137 Kun­den, vie­le auch noch mit Beglei­tung, sorg­ten an die­sem Tag für mehr als 20 000 DM Umsatz.

Die Neu­eröff­nung war gut gelau­fen, jetzt konn­ten alle Mit­ar­bei­ter, aber auch wir erst mal durch­at­men. Der Sturm war vor­bei, die „nor­ma­le“ Zeit begann. Aber was ist nor­mal? Das zum gro­ßen Teil neue Team muss­te jetzt erst mal zusam­men­wach­sen. Jeder hat­te auch neue Tätig­kei­ten zu ler­nen. Der Metz­ger muss­te nicht schlach­ten, dafür galt es die Kun­den zu bedie­nen. Die Fleisch­ver­käu­fe­rin wur­de von der Che­fin auch an der Käse­the­ke ein­ge­ar­bei­tet, durf­te aber auch Brot und Back­wa­ren ver­kau­fen. Und die Dro­gis­tin lern­te die Beson­der­hei­ten der Lot­to-Annah­me­stel­le ken­nen.

Waren es doch die bes­se­ren Zei­ten? Immer­hin war der Laden Mitt­woch- und Sams­tag­mit­tag ab 12:30 Uhr geschlos­sen, Mit­tags­pau­se war von 12:30 bis 14:00 Uhr. So konn­te „man“ die Frei­zeit in der Schlag­ho­se und auf Pla­teau­schu­hen zur Musik von Abba auch genie­ßen. Im Fern­se­hen ver­bog Uri Gel­ler bei der Show mit Wim Töl­ke Gabeln und Mes­ser, auch zuhau­se wur­de das – tele­pa­thisch unter­stützt — von den Zuschau­ern pro­biert. Die aktu­el­le Tages­schau berich­te­te über den Water­ga­te-Skan­dal um den US-Prä­si­den­ten Nixon und in Wolfs­burg lief der ers­te VW Golf vom Band. Ger­ne hat man den dann mit einer neu­en Pola­roid­ka­me­ra foto­gra­fiert und Sekun­den spä­ter das Bild betrach­tet.

Im Markt gin­gen die Umsät­ze dank zufrie­de­ner Kun­den ste­tig nach oben. Als ein wich­ti­ger Magnet wirk­te dabei die Fleisch­ab­tei­lung, die stark fre­quen­tiert war. So gab es bald Bedarf für wei­te­re Mit­ar­bei­ter, die wir auch fan­den. Auch in der Obst- und Gemü­se­ab­tei­lung ging es gut vor­an, obwohl es in der Sied­lung vie­le Selbst­ver­sor­ger mit eige­nem Gar­ten gab. In der Dro­ge­rie­ab­tei­lung war gut zu tun, schließ­lich gab es noch kei­ne Dro­ge­rie­märk­te wie Schle­cker oder dm.

Das Umfeld zeig­te sich jedoch weni­ger freund­lich. Aus­ge­löst durch die Ölkri­se 1973 bricht die Kon­junk­tur in Deutsch­land ein. In vie­len Indus­trie­be­rei­chen dro­hen Kurz­ar­beit und Ent­las­sun­gen. Waren es im Janu­ar 1974 noch 2,7% = 620 Tau­send Arbeits­lo­se, sind es ein Jahr spä­ter schon 5,0% = 1,15 Mio. Die Infla­ti­ons­ra­te steigt auf 6,9%, die Soll­zin­sen auf über 14%, was auch uns hart trifft. Im Mai 1974 über­nimmt Hel­mut Schmidt das Amt des Bun­des­kanz­lers von Wil­ly Brandt, der wegen der Guil­laume-Affä­re zurück­tritt. Kein leich­ter Job!

Auch wir krem­pel­ten die Ärmel ganz weit nach oben. Mit mehr als einer hal­ben Mil­li­on DM Schul­den waren wir zum Erfolg ver­dammt. Da rief auch schon mal der Bank­di­rek­tor an, ob denn die nächs­te Til­gungs­ra­te bedient wird. Obwohl er ja den aktu­el­len Kon­to­stand kann­te, nicht nur, weil sei­ne eige­ne Filia­le seit April 74 in den „alten“ Laden ums Eck ein­ge­zo­gen war. So waren Arbeits­ta­ge mit 13 bis 14 Stun­den kei­ne Aus­nah­me, nur am Sonn­tag blie­ben ein paar Stun­den Frei­zeit.

Das ers­te Jahr ist geschafft, das Team ist ein­ge­spielt und die Kun­den haben uns fast genau den geplan­ten Umsatz beschert. Und im Früh­jahr wird der Sohn Jörg gebo­ren. Ein fröh­li­ches Kind mit blon­den Locken, das natür­lich von allen Frau­en im Haus ver­wöhnt wird. Prak­ti­scher-wei­se war das Kin­der­zim­mer nur eine Trep­pe im Nach­bar­haus ent­fernt, manch­mal wur­de auch im Per­so­nal­raum geschla­fen. Wenn die Nach­ba­rin ihren Dackel „Gas­si“ führ­te, nahm sie den Nach­wuchs ger­ne im Kin­der­wa­gen mit. Dort hat­te der Hund zwi­schen den Rädern einen gepols­ter­ten Korb, wo er bei Müdig­keit die Tour auch ver­schlief.

Im Früh­jahr 1974 beschloss der Bun­des­tag die Voll­jäh­rig­keit mit 18 Jah­ren, die dann zum 1.1.1975 in Kraft trat. Ali­ce Schwar­zer kämpf­te vehe­ment mit der „Frau­en­be­we­gung“ um mehr Rech­te und Niki Lau­da gewann mit Fer­ra­ri den Kampf um die For­mel 1 Welt­meis­ter­schaft. Auch wir muss­ten um jeden Kun­den kämp­fen, es gab in der Sied­lung auch noch einen Metz­ger und eine Bäcke­rei­fi­lia­le. Und wegen der anhal­ten­den welt­wei­ten Rezes­si­on mit hohen Arbeits­lo­sen­zah­len waren alle beson­ders spar­sam. Das war auch der Anlass, über preis­wer­te­re Ange­bo­te nach­zu­den­ken. Schon 1974 war die Preis­bin­dung für Mar­ken­ar­ti­kel als unzu­läs­sig erklärt wor­den. Vie­le Pro­duk­te wie z. B. Mag­gi, Sup­pen und Soßen hat­ten auf der Ver­pa­ckung den Preis­auf­druck, der spä­ter als Preis­emp­feh­lung galt.

Als gelern­ter Dro­gist kann­te ich vie­le Pro­duk­te aus dem Kos­me­tik- und Gesund­heits­be­reich, die wei­ter zu statt­li­chen Prei­sen ver­kauft wur­den. Jetzt eröff­ne­te sich die Mög­lich­keit, durch Ein­kauf grö­ße­rer Pos­ten einen Men­gen­ra­batt zu bekom­men und das an die Kun­den wei­ter­zu­ge­ben. Scha­de, dass bei uns das Geld nicht vor­han­den war, um die­se Idee zu einem Dro­ge­rie­markt wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Schle­cker war zu die­ser Zeit noch der Metz­ger­meis­ter in Ehin­gen, der dm-Dro­ge­rie­markt war gera­de gegrün­det wor­den. Also ver­wöhn­ten auch wir unse­re Kun­den mit preis­re­du­zier­ter Zahn­pas­ta und Deo­stif­ten. Auch mit Baby­nah­rung im Son­der­an­ge­bot lie­ßen sich die Kun­den locken.

Auch in der Obst­ab­tei­lung lie­ßen sich die Kun­den immer mehr von exo­ti­schen Früch­ten locken. Pam­pel­mu­sen – eigent­lich waren es Grape­fruit – aus Isra­el, Kaki aus Ita­li­en und lecke­re Trau­ben aus Jugo­sla­wi­en. Spa­ni­en kam als wich­ti­ges Lie­fer­land erst spä­ter dazu, weil im Novem­ber 1975 durch den Tod von Gene­ral Fran­co das Ende der 36-jäh­ri­gen Dik­ta­tur auch einen wirt­schaft­li­chen Auf­schwung mög­lich mach­te.

Der Auf­schwung im eige­nen Haus war in die­sem Jahr gegen­über dem Eröff­nungs­jahr mit einem Plus von 9,3% auf den ers­ten Blick recht erfreu­lich, wur­de aber durch die Infla­ti­on mit 5,9% deut­lich rela­ti­viert.

Auch im neu­en Jahr 1976 soll­te es nicht lang­wei­lig wer­den. Der täg­li­che Kampf um jeden Kun­den wur­de immer här­ter, weil die Geld­beu­tel sehr zuge­knöpft waren. In den ers­ten fünf Mona­ten des Jah­res hat­ten wir die Umsät­ze des Vor­jah­res immer knapp nicht erreicht. Und dann eröff­ne­te Ende Mai der neue „HaWe­Ge“ — Vor­gän­ger der Fir­ma Tegut -, sei­nen neu­en Markt mit ca. 700m² in gut einem Kilo­me­ter Ent­fer­nung. Er hat­te somit die drei­fa­che Grö­ße unse­res Mark­tes und war größ­ter Anbie­ter in Lohr. Wir zogen mit unse­ren Mit­ar­bei­tern alle Regis­ter und ver­stärk­ten die Wer­bung, sodass wir im zwei­ten Halb­jahr die Umsät­ze zum Vor­jahr fast genau hal­ten konn­ten.

Mit­te des Jah­res ver­starb nach kur­zer, schwe­rer Krank­heit die Seni­or­che­fin, sodass der Sohn Jörg „sei­ne Oma“ kaum wirk­lich erlebt hat­te. Ein har­ter Schlag für die gan­ze Fami­lie.

In Lohr gab es wei­te­re gro­ße Ände­run­gen. Der wich­tigs­te Arbeit­ge­ber und bis vor weni­gen Jah­ren im Besitz der Fami­lie Rex­roth wur­de jetzt 100%ige Toch­ter im Man­nes­mann­kon­zern. Für man­che ein Angst­fak­tor, aber per­spek­ti­visch die Siche­rung vie­ler guter Arbeits­plät­ze. Auch blieb uns Frau Rex­roth, lang­jäh­ri­ge Stamm­kun­din unse­res Hau­ses auch bis zu ihrem Tod als Kun­din treu.

Der Musi­ker Frank Fari­an hat­te mit der von ihm geschaf­fe­nen Grup­pe Boney M und dem Song  „Dad­dy Cool“ einen Welt­hit mit mehr als 1 Mil­li­on ver­kauf­ten Sin­gles. Im kari­bi­schen Look und gewag­ten Kos­tü­men tra­ten sie u. a. im „Musik­la­den“ erfolg­reich auf, ohne selbst zu sin­gen.

Nach jahr­zehn­te­lan­ger Dik­ta­tur und einer „Kul­tur­re­vo­lu­ti­on“ ver­starb am 9. Novem­ber der gro­ße Mao Tse-Tung. His­to­ri­ker berich­ten, dass durch ihn bis zu 70 Mil­lio­nen Chi­ne­sen den Tod durch Fol­ter, Haft und Hun­ger fan­den.

Am letz­ten Wochen­en­de im Sep­tem­ber gab es bei uns erst­mals einen Herbst­markt mit Bier und Brat­wurst. Dabei wur­den neben Äpfeln, Kraut und Rüben auch 300 Sack je 25 kg. Kar­tof­feln zum Preis von 16,95 DM ver­kauft.

In den ers­ten Okto­ber­ta­gen kamen der Ver­kaufs­lei­ter und der Finanz­vor­stand der EDEKA zu uns in den Markt. Ich war recht erschro­cken, als sie mir den Markt im Stadt­teil Sen­del­bach zur Über­nah­me anbo­ten. Schnell müss­te ich mich ent­schei­den, höchs­tens 48 Stun­den Zeit könn­ten sie mir las­sen, bevor sie einem ande­ren Kol­le­gen den Markt anbie­ten. Die Grün­de, war­um der Markt dem Betrei­ber­paar ent­zo­gen wer­den soll­te, waren mas­si­ve Hygie­ne­män­gel und Umsatz­ein­brü­che, dar­aus fol­gend der wirt­schaft­li­che Ruin. Jetzt galt es, in der Fami­lie ganz schnell nach­zu­den­ken, ob dies kräf­te­mä­ßig, aber auch finan­zi­ell zu schaf­fen sei.

Die Ent­schei­dung erfah­ren Sie in der nächs­ten Chro­nik.

„Wir schaf­fen das“ – so war die Mei­nung der Che­fin, des Seni­or­chefs und der lang­jäh­ri­gen Mit­ar­bei­te­rin Edda K. Wir soll­ten die Chan­ce nut­zen und den Markt in Sen­del­bach über-neh­men. Also sag­ten wir zu und ab dann ging alles Schlag auf Schlag.

Am Don­ners­tag 7.10. war der Markt noch geöff­net, die Kun­den und Mit­ar­bei­ter wur­den infor­miert, dass Frei­tag und Sams­tag wegen Inven­tur geschlos­sen und Wie­der­eröff­nung am Mon­tag 11.10. ist. Die Mit­ar­bei­ter wur­den alle wei­ter beschäf­tigt, nicht aber das Betrei­ber­paar. Bei der Über­nah­me­inven­tur wur­de eine gro­ße Zahl nicht ver­kaufs­fä­hi­ger Arti­kel aus­sor­tiert, offe­ne Fleisch­wa­ren und Käse waren aus Hygie­ne­grün­den kom­plett zu ver­nich­ten. Um die Ver­kaufs- und Arbeits­räu­me in den lebens­mit­tel­recht­lich ein­wand­frei­en Zustand zu brin­gen, war die gan­ze Mann­schaft einen Tag und eine Nacht damit beschäf­tigt, zu räu­men, zu rei­ni­gen und zu des­in­fi­zie­ren. Gleich­zei­tig muss­te neue Ware bestellt wer­den, um am Mon­tag wie­der ver­kaufs­fä­hig zu sein.

An die­sem Mon­tag wur­den Mol­ke­rei­pro­duk­te und auch die Fleisch- und Wurst­wa­ren wie­der frisch ange­lie­fert, das Tro­cken­s­or­ti­ment kam erst am Diens­tag. Eini­ge Mit­ar­bei­ter aus der Zen­tra­le hal­fen beim Ein­räu­men, um den Markt wie­der halb­wegs Ver­kaufs-bereit zu machen. Neu­gie­ri­ge Kun­den kamen in über­schau­ba­rer Zahl, um zu sehen, ob sich etwas ver­än­dert hat. Bei den Ein­käu­fen waren sie jedoch sehr zurück­hal­tend. Und fast alle frag­ten, ob das auch noch die glei­che Wurst und das Fleisch wie in der Vor­wo­che sei. Das ließ uns sehr nach­denk­lich wer­den und for­der­te uns gleich­zei­tig her­aus. Das wirt­schaft­li­che Risi­ko war nicht zu unter­schät­zen, daher grün­de­ten wir eine eige­ne GmbH, um nicht auch noch die jun­ge Ein­zel­fir­ma im nega­ti­ven Fall mit in den Abgrund zu rei­ßen.

Sehr schnell wur­de klar, die Schwä­che des Mark­tes war der mas­si­ve Ver­trau­ens­ver­lust in die Fleisch­ab­tei­lung. Daher war es obers­te Prio­ri­tät, die Kun­den wie­der an die The­ke zu holen und zu über­zeu­gen. Also ver­brach­te ich einen gro­ßen Teil mei­ner Zeit in der Fleisch­ab­tei­lung, um Kun­den zu bedie­nen und Fleisch aus­zu­bei­nen bzw. zu zer­le­gen. Viel konn­te ich mir von der Fach­ver­käu­fe­rin zei­gen las­sen, da ich es ja selbst nie gelernt hat­te.

Als Ende Novem­ber die Zah­len auf dem Tisch lagen, waren es gesamt fast 20 % weni­ger als der Umsatz des ande­ren Mark­tes in der Lin­dig­sied­lung, der Anteil der Fleisch­ab­tei­lung war nur gut die Hälf­te des Wer­tes im ande­ren Markt. Da lagen die Ner­ven und auch das Bank­kon­to blank. Wir stell­ten uns die ban­ge Fra­ge: Wie wer­den die nächs­ten Wochen im Dezem­ber und im fol­gen­den Jahr sich ent­wi­ckeln?

Eigent­lich war es so weit, dass ich die „Flin­te ins Korn“ wer­fen woll­te. Alle Mühe war ver­ge­bens, der Frust rie­sen­groß. Auf Umwe­gen und durch eine Emp­feh­lung kam ich mit einem EDE­KA-Kol­le­gen in Kon­takt, der 20 km wei­ter einen Markt hat­te und gelern­ter Metz­ger­meis­ter war. Er besuch­te mich, gab mir wich­ti­ge Tipps und bestärk­te mich, auf jeden Fall wei­ter­zu­ma­chen. Auch emp­fahl er mir eine Land­metz­ge­rei in der Regi­on, deren lecke­re Wurst ich ab sofort im Sor­ti­ment ver­kauf­te. Schnell sprach sich das bei den Kun­den her­um und brach­te viel vom ver­lo­re­nen Ver­trau­en zurück. Als dann noch Erich, der Gesel­le aus der Land­metz­ge­rei nach sei­nem Dienst bei mir half, die Fleisch­tei­le aus­zu­bei­nen und sau­ber zuzu­schnei­den, konn­te ich mich mehr um den Ver­kauf und die Kun­den küm­mern. Das war vor den Fei­er­ta­gen beson­ders wich­tig. Schließ­lich galt es, mög­lichst vie­le der ent­täusch­ten Kun­den wie­der­zu­ge­win­nen.

Auch sonst war viel los in die­ser Zeit. Jim­my Car­ter wur­de zum 39. Prä­si­den­ten der USA ver­ei­digt, Bern­hard Vogel zum Minis­ter­prä­si­den­ten von Rhein­land-Pfalz. In Mainz wird der „Wei­ße Ring e. V.“ gegrün­det, Wolf Bier­mann aus der DDR aus­ge­bür­gert. Die Eagles brin­gen mit „Hotel Cali­for­nia“ eines der welt­weit meist­ver­kauf­ten Alben her­aus. Und Richard Oet­ker wur­de am 14. 12. ent­führt und zwei Tage spä­ter gegen 21 Mio. Löse­geld frei­ge­las­sen.

Der Janu­ar 1977 ließ sich erst mal noch recht zäh an, aber immer­hin ging die Kun­den­zahl an der Fleisch­the­ke lang­sam, aber ste­tig nach oben. Jetzt galt es, im Markt das Sor­ti­ment   genau zu ana­ly­sie­ren und zu aktua­li­sie­ren. Rega­le wur­den umge­räumt und neu geord­net.

Als die Zah­len des Monats März gerech­net waren, war es am Hori­zont schon deut­lich hel­ler gewor­den. Im Ver­gleich zum Janu­ar stieg der Umsatz um 25%, die Kun­den­zahl um 27% und der Umsatz der Fleisch­ab­tei­lung war um 36% ange­stie­gen, bei­de Märk­te lagen jetzt gleich­auf. Das gab neu­en Mut und sporn­te alle an, noch mehr um die Kun­den zu wer­ben. Schon zur Jah­res­mit­te zeig­ten die Zah­len des Juni gegen­über dem Janu­ar eine Stei­ge­rung von 50%, an der Fleisch­the­ke ein Plus von 72%. Wir waren wohl auf dem rich­ti­gen Weg und hat­ten den Markt in der Lin­dig­sied­lung schon über­holt. Die­ser stand auch unter star­kem Druck durch den HaWe­Ge-Markt, der vor einem Jahr eröff­net hat­te. Also ver­stärk­ten wir unse­re Wer­bung durch Hand­zet­tel, beson­ders mit Fleisch- und Wurst­ar­ti­keln. Auch per­so­nell konn­ten wir uns mit einem jun­gen Metz­ger­ge­sel­len ver­stär­ken. Dadurch hat­te der Chef wie­der mehr Zeit für den gesam­ten Betrieb.

Offen­sicht­lich waren wir auf dem rich­ti­gen Weg, ab Mit­te des Jah­res 1977 schien der „Kno­ten gelöst“. Die Zahl zufrie­de­ner Kun­den stieg kon­ti­nu­ier­lich und damit auch die Umsät­ze. So waren im Dezem­ber 90% mehr in der Kas­se als im Janu­ar davor. Und schon gab es die ers­ten Gedan­ken, den Laden umzu­bau­en und eine Käse­the­ke zu instal­lie­ren. Dafür müss­te das Büro ver­legt und ein Durch­bruch zur Fleisch­the­ke geschaf­fen wer­den, damit von dort mit­be­dient wer­den konn­te. Am 27. Juli 1978 war‘s dann so weit und die Kun­den waren mit dem neu­en Ange­bot sehr zufrie­den. Als zum Jah­res­en­de die Zah­len addiert wur­den, waren es immer­hin 26,5% mehr Umsatz. 

Nicht ganz zufrie­den waren wir mit der Ent­wick­lung im Markt in Lin­dig. Die grö­ße­re Kon­kur­renz des HaWe­Ge-Mark­tes ließ unse­re Ent­wick­lung deut­lich klei­ner aus­fal­len.

Waren es in 1977 noch 10,4% plus, gab es im Fol­ge­jahr 1978 nur noch 8,1% mehr Umsatz.

Für unru­hi­ge Zei­ten in Deutsch­land sorg­ten die schreck­li­chen Taten der ter­ro­ris­ti­schen RAF mit den Mor­den an Gene­ral­bun­des­an­walt Buback, dem Bän­ker Pon­to und dem Arbeit­ge­ber­prä­si­dent Schley­er. Um die Frei­las­sung von elf gefan­ge­nen RAF-Mit­glie­dern zu erpres­sen, wur­de die Luft­han­sama­schi­ne „Lands­hut“ nach Moga­di­schu in Soma­lia ent­führt und der Pilot ermor­det. Die GSG9 stürm­te das Flug-zeug und befrei­te alle Gei­seln. Im Gefäng­nis Stamm­heim begin­gen dar­auf hin drei RAF-Ter­ro­ris­ten Selbst­mord.

Der Tod von Elvis Pres­ley lös­te welt­weit gro­ße Trau­er aus, ABBA und Boney M stürm­ten die Charts und die Queen fei­er­te ihr 25. Thron­ju­bi­lä­um. Pelé been­det sei­ne Fuß­ball­kar­rie­re, der 1. Star Wars Film kommt in die Kinos und Ben­zin kos­tet 0,88DM.

Ein Pack But­ter gibt’s für 2,35, das Kg Mehl für 1,22 und Kaf­fee kos­tet 14,99DM je Pfund. Die Arbeits­lo­sen­quo­te liegt immer noch bei 4,5%

Unser Sohn Jörg hat den Kin­der­wa­gen zur Sei­te gescho­ben und ist aufs Drei­rad um-gestie­gen. Und Mit­te 1978 beginnt die span­nen­de Kin­der­gar­ten­zeit, wo die gro­ße Neu­gier­de auch noch von ande­ren gestillt wur­de.

Die Öff­nungs­zeit des Kin­der­gar­tens war nicht wirk­lich kom­pa­ti­bel mit den Arbeits­zei­ten im Laden. Die Kin­der muss­ten bis 11:30 abge­holt sein, Mit­tags­pau­se war bis 13:30 und um 17:00 Uhr war dann Schluss. Aber auch die Öff­nungs­zeit im Laden war über­schau­bar. Früh­mor­gens ging es um 8:00 los, Mit­tags­pau­se von 12:30 bis 14:00, um 18:00 Uhr war dann Fei­er­abend. Und sams­tags wur­de der Schlüs­sel um 12:00 Uhr umge­dreht.

Das waren noch Zei­ten …

Das neue Jahr 1979 fing gar nicht gut an. Inden letz­ten Dezem­ber­ta­gen, im Janu­ar und bis in den Febru­ar hin­ein gab es den „Jahr­hun­dert­win­ter“. Inner­halb von 6 Wochen feg­ten zwei extre­me Schnee­stür­me vor allem über Nord­deutsch­land hin­weg. Meter­ho­he Ver­we­hun­gen sorg­ten dafür, dass vie­le Dör­fer und Gemein­den von der Außen­welt abge­schnit­ten und ohne Strom waren, weil die Ober­lei­tun­gen unter der Last des Eises geris­sen waren. Schnee­räu­mung war nur mit Pan­zern und schwe­rem Gerät mög­lich. Funk­ama­teu­re hal­fen durch Not­funk-betrieb die Hilfs­kräf­te zu koor­di­nie­ren. Mit der DDR gab es kei­ne gemein­sa­men Funk­fre­quen­zen. In West­deutsch­land waren min­des­tens 17 Tote zu bekla­gen.

Nach Pro­tes­ten ver­lässt der Schah Reza Pahl­avi den Iran, Aja­tol­lah Kho­mei­ni kehrt aus dem Exil zurück und über­nimmt die Regie­rung der isla­mi­schen Repu­blik – den „Got­tes­staat“.

Im März war qua­si die Grün­dung der Grü­nen als „Lis­ten­bünd­nis“, eine bun­te Mischung aus Umwelt­schüt­zern, Atom­kraft­geg­nern und Pazi­fis­ten. Sie orga­ni­sier­ten den „Gor­le­ben-Treck“, eine Pro­test­ak­ti­on mit mehr als 50.000 Teil­neh­mern und Hun­der­ten von Trak­to­ren und zogen zu einer Groß­kund­ge­bung nach Han­no­ver. Fast zeit­gleich wur­de der israe­lisch – ägyp­ti­sche Frie­dens­ver­trag unter­zeich­net. Dar­in war auch der Trup­pen­ab­zug und die Rück­ga­be der Sinai­halb­in­sel im Jahr 1982 fest­ge­schrie­ben.

Musik „on tour“ gab es jetzt für die Jugend mit dem neu­en Walk­man von Sony. Nur 14×10cm groß war er für ca. 400 Mark zu haben.  Damit konn­te jeder die selbst am Radio auf­ge­nom­me­nen Musik­kas­set­ten auch unter­wegs hören. Dschin­gis Khan, Boney M und natür­lich ABBA stür­men gera­de die Hit­pa­ra­de mit Die­ter Tho­mas Heck. Mar­ga­ret That­cher gewinnt die Wahl in Eng­land, Uli Hoe­neß wird Mana­ger des FC Bay­ern Mün­chen und der HSV deut­scher Meis­ter.  Vier­zehn DDR-Agen­ten kön­nen durch einen über­ge­lau­fe­nen Sta­si­of­fi­zier ent­tarnt wer­den. Die Arbeits­lo­sig­keit sinkt auf 3,8% und Ben­zin kos­tet weni­ger als eine DM.    

 Im Laden gibt‘s das Paket But­ter für 2,50DM, Zucker kos­tet 1,40 und Mehl 1,25DM je kg. Bei­de Märk­te ent­wi­ckeln sich in die­sem Jahr mode­rat mit ca. 8% Zuwachs wei­ter, wobei die Fleisch­ab­tei­lung in Sen­del­bach stär­ker zule­gen kann. Nicht ganz zufrie­den sind wir mit der Ent­wick­lung der Dro­ge­rie- (wegen Schle­cker) und der Obst­ab­tei­lung in der Lin­dig-Sied­lung. Also pla­nen wir den Umbau des Mark­tes. Die Dro­ge­rie wird auf­ge­ge­ben, der Markt an zwei Tagen im Novem­ber umge­baut und mit deut­lich mehr Platz und Aus­wahl an Obst und Gemü­se wie­der­eröff­net. Dass die­se Ent­schei­dung gut und rich­tig war, zei­gen die Zah­len recht schnell.

Nach dem Umbau zeig­te sich der „alte“ Markt in der Lin­dig-Sied­lung mit neu­em Gesicht und wirk­te ins­ge­samt grö­ßer. Das Obst­re­gal wur­de in U‑Form auf­ge­baut und war von 3 Sei­ten zugäng­lich. Innen stand die Ver­käu­fe­rin und bedien­te die Kun­den oder füll­te Ware nach. Und dazu ein 2,5 m hoher Baum! Ein ech­ter Baum­stamm mit Ästen, dar­an künst­li­che Blät­ter und Apfel­blü­ten, die wie echt aus­sa­hen – ein ech­ter Hin­gu­cker! So konn­ten wir im Jahr 1980 nicht nur deut­lich mehr Obst und Gemü­se ver­kau­fen, viel­mehr ist der Gesamt­um­satz um 15% ange­stie­gen. Das moti­vier­te uns, auch für Sen­del­bach den Umbau und die Erwei­te­rung der Obst­ab­tei­lung zu pla­nen. Schließ­lich konn­te die­ser Markt mit „nur“ 10% Stei­ge­rung mit der Ent­wick­lung in der Lin­dig-Sied­lung nicht mit­hal­ten.

Auch die Ent­wick­lun­gen in der Welt waren recht unter­schied­lich. Öko­lo­gi­sche und lin­ke Grup­pen grün­de­ten die Par­tei Die Grü­nen. Sowje­ti­sche Trup­pen waren in Afgha­ni­stan ein-mar­schiert. US-Prä­si­dent Car­ter ent­schei­det sich daher für den Boy­kott der olym­pi­schen Spie­le in Mos­kau, ins­ge­samt 57 Natio­nen und auch die BRD schlie­ßen sich an. Im Som­mer wird in Bre­mer­ha­ven das Alfred-Wege­ner-Insti­tut für Polar- und Mee­res­for­schung gegrün­det. Exakt 40 Jah­re spä­ter kehrt das For­schungs­schiff „Polar­stern“ im Herbst 2020 von der ein-jäh­ri­gen Expe­di­ti­on im ark­ti­schen Pack­eis mit neu­en wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­sen und noch mehr Daten zurück. Für Groß und Klein gab es jetzt Rubik’s Zau­ber­wür­fel, Pac–Man war das ers­te „Computer“-Spiel und Rein­hold Mess­mer bezwang als ers­ter Berg­stei­ger den Mount Ever­est im Allein­gang ohne Sau­er­stoff.

Mit­te August war wohl der Start für einen gro­ßen Wech­sel in der Welt­po­li­tik: Auf der Dan­zi­ger Lenin – Werft wur­de unter Füh­rung von Lech Wale­sa gestreikt. Die Streiks wei­te­ten sich aus und führ­ten weni­ge Wochen spä­ter zur Grün­dung von Soli­dar­nosc und zum Macht­ver­lust der kom­mu­nis­ti­schen Par­tei – nicht nur in Polen. Karol Woj­ty­la, der mehr als 26 Jah­re in Rom auf dem Papst­thron saß, soll dabei nicht ganz unbe­tei­ligt gewe­sen sein.

Bob Mar­ley gab sein letz­tes Kon­zert, Ende Sep­tem­ber das Bom­ben­at­ten­tat auf dem Okto­ber­fest mit 13 Toten und über 200 Ver­letz­ten. John Len­non wur­de in New York erschos­sen.

Unser Sohn Jörg mach­te in den Kin­der­gar­ten­fe­ri­en „Urlaub auf dem Bau­ern­hof“ bei Oma und Opa in Ober­schwa­ben. Ganz allein – ohne Mama und Papa, Mit­hil­fe im Stall bei den Tie­ren und „selbst Trak­tor fah­ren“ mit Opa auf der Wie­se – so schön ist die Welt!

Ver­än­de­run­gen gibt es in die­sem Jahr aber noch eini­ge mehr. Unse­re ers­te Aus­zu­bil­den­de star­tet ab August in ihren Beruf. Um eine geord­ne­te Aus­bil­dung zu gewähr­leis­ten, will der Chef die Aus­bil­der­eig­nungs­prü­fung able­gen. Auf Nach­fra­ge beim Ein­zel­han­dels­ver­band erfährt er, dass die­se ca. 300 Stun­den Schu­lung erfor­de­re. Da kön­ne er doch gleich mit nur 200 Stun­den mehr den Han­dels­fach­wirt machen, der die Aus­bil­der­eig­nungs­prü­fung dann beinhal­tet. Gesagt, getan, der Start war Anfang Sep­tem­ber in Aschaf­fen­burg. Zwei­mal pro Woche abends 3 Stun­den ab 18:45 und jeden 2. Sams­tag 5 Stun­den. Das ist ganz schön anspruchs­voll, weil ja auch noch Zeit zum Ler­nen gefor­dert war. Also abends nach 18:00 Uhr schnell Kas­se abrech­nen, abwech­selnd mit einem Loh­rer Kauf­mann flott die 35 km über den Spes­sart fah­ren und dann recht­zei­tig zum Unter­richt ankom­men – nicht immer ein­fach, aber immer unfall­frei!

Das neue Jahr 1981 begann kalt und teils stür­misch, mit viel Schnee. Ja, es war wie­der mal ein rich­ti­ger Win­ter, der bis in den Febru­ar andau­er­te. Da war die Fahrt durch den Spes­sart zum abend­li­chen Unter­richt in Aschaf­fen­burg durch­aus anspruchs­voll. Eben­so anspruchs­voll war der zu bear­bei­ten­de Lern­stoff aus neun ver­schie­de­nen Fächern. Neben Anfor­de­run­gen der Fami­lie und der bei­den Märk­te war nur wenig Zeit dafür übrig. So kamen wir auf die Idee, uns am schul­frei­en Wochen­en­de zu fünft im Wochen­end­haus eines Mit­schü­lers in Klau­sur zu bege­ben. In der Nähe von Wall­dürn, also „badisch Sibi­ri­en“ gab es dort eine zau­ber­haf­te Win­ter­land­schaft, die wir in der Pau­se zwi­schen zwei inten­si­ven Lern­stun­den zur Wan­de­rung oder Schnee­ball­schlacht nutz­ten. Jeder von uns hat­te sei­ne Stär­ke in einem ande­ren Fach und war beson­ders dar­in vor­be­rei­tet, um dann mit den ande­ren das The­ma zu ver­tie­fen. So erreich­ten wir eine hohe Effi­zi­enz beim Ler­nen des Stoffs. 

Der im Herbst 1980 begon­ne­ne Golf­krieg zwi­schen Iran und Irak führ­te zu einer welt­wei­ten Ölkri­se mit einer Ver­dop­pe­lung des Ölprei­ses. Die Fol­ge war die Sta­gna­ti­on der Wirt­schaft, Pro­duk­ti­on und Beschäf­ti­gung gin­gen zurück, Arbeits­lo­sig­keit steigt um 43% auf über 1,7 Mil­lio­nen Ende 1981, die Lebens­hal­tung wird um 6% teu­rer. Auch wir konn­ten in unse­ren Märk­ten die Umsät­ze nur in Höhe der Preis­stei­ge­rung errei­chen. Also Null­wachs­tum auf der gan­zen Linie.

Im Febru­ar gab es in Brok­dorf eine Groß­de­mons­tra­ti­on von ca. 100.000 Atom­kraft­geg­nern, die nicht nur fried­lich ver­lief. Im Wett­lauf der Groß­mäch­te um den Welt­raum wur­de im April von den USA der ers­te Space Shut­tle, die Raum­fäh­re Colum­bia ins All geschickt und kehr­te nach der Mis­si­on wie ein Flug­zeug zur Erde zurück. Mit­te Mai wird Papst Johan­nes Paul II. auf dem Peters­platz durch 3 Schüs­se eines Atten­tä­ters schwer ver­letzt.  

Im Juni flim­mert der ers­te Tat­ort Kri­mi mit Kom­mis­sar Schi­man­ski – Götz Geor­ge – über die Bild­schir­me und ist auch noch heu­te ein Dau­er­bren­ner. Für vie­le war es die aller­schöns­te Hoch­zeit, die Prin­ce Charles und Lady Dia­na im Juli fei­er­ten.

Jetzt war auch die nicht immer ein­fa­che Zeit des Ler­nens für den Han­dels­fach­wirt vor­bei, die Prü­fun­gen stan­den an. Schrift­lich geprüft wur­de in allen Fächern, in eini­gen dann auch noch münd­lich. Für die Aus­bil­der-Eig­nungs­prü­fung war auch eine Prä­sen­ta­ti­on zu erstel­len, die dann der Prü­fungs­kom­mis­si­on vor­zu­tra­gen war. Alles ging gut, mit gutem Erfolg bestan­den! Nicht nur die bestan­de­ne Prü­fung, son­dern viel­mehr die neu gewon­ne­nen Freun­de waren das, was auch bis heu­te noch zählt. So haben wir uns ca. 10 Jah­re danach noch monat­lich in Aschaf­fen­burg getrof­fen, um Neu­ig­kei­ten aus­zu­tau­schen. Und nach 25 Jah­ren – 2006 – haben wir uns für ein Wochen­en­de, zusam­men mit den Refe­ren­ten ver­ab­re­det. Bis auf ein paar Aus­nah­men waren alle dabei und hat­ten viel zu erzäh­len!

Auch wenn es 1981 schon im März früh­lings­haf­te und ab Ende Mai sogar schon som­mer­li­che Tem­pe­ra­tu­ren gab, war die all­ge­mei­ne Stim­mung doch eher unter­kühlt. Aus­ge­löst durch die Ölkri­se 1980, rutsch­te Deutsch­land in eine schwe­re Rezes­si­on. Stei­gen­de Prei­se bei stei­gen­der Arbeits­lo­sig­keit, gepaart mit einem Null­wachs­tum nen­nen die Öko­no­men eine Stag­fla­ti­on. Und dazu noch Kre­dit­zin­sen von deut­lich mehr als zehn Pro­zent waren für die Ent­wick­lung pures Gift. Die Kauf­lau­ne war daher ent­spre­chend.

Unser Geschäft ent­wi­ckel­te sich auch nur ver­hal­ten nach vor­ne. So konn­ten wir in bei­den Märk­ten nur fünf bzw. sechs Pro­zent stei­gern, was etwa der Teue­rungs­ra­te ent­sprach, ledig­lich in den Fleisch­ab­tei­lun­gen bei­der Märk­te konn­ten wir eini­ges zu-legen.  Sicher war auch die Neu­eröff­nung des NEU­KAUF-Mark­tes mit 700 m² im Mai 1981 in der Innen­stadt von Lohr nicht wirk­lich för­der­lich für unse­re Ent­wick­lung.

Rich­tig gut ent­wi­ckel­ten sich unse­re bei­den „Nach­wuchs­kräf­te“. Für Jörg begann nach den Som­mer­fe­ri­en die Schul­zeit, die er kaum erwar­ten konn­te. Ralfs inten­si­ver Bewe­gungs­drang sorg­te jetzt dafür, dass in der Woh­nung die von ihm erreich­ba­ren Schrän­ke und Schub­la­den leer­ge­räumt waren. Auf­fäl­lig war schon jetzt die Vor­lie­be, sich mit Koch­töp­fen und Rühr­löf­feln zu beschäf­ti­gen – ein Hin­weis für die Zukunft?

Ja, was wird die Zukunft brin­gen? In ganz Euro­pa und dar­über hin­aus ent­wi­ckelt sich die Frie­dens­be­we­gung, im Okto­ber 1981 sind es in Bonn bei einer Frie­dens­de­mo rund 300.000 Teil­neh­mer. Auch in der DDR gibt es die­se Ent­wick­lung mit der von dem Pfar­rer Rai­ner Eppel­mann geführ­ten Initia­ti­ve „Frie­den schaf­fen ohne Waf­fen“. Gar nicht fried­lich zeig­te sich ab April 1982 der Krieg um die Falk­land­in­seln im Süd­at­lan­tik. 10 Wochen dau­ert der Kampf zwi­schen Groß­bri­tan­ni­en und Argen­ti­ni­en um die paar wirt­schaft­lich und stra­te­gisch unbe­deu­ten­den Fel­sen 15000 km von Lon­don ent­fernt. 900 Tote und 10000 Sol­da­ten in bri­ti­scher Gefan­gen­schaft als Sieg zu bezeich­nen – na ja, die Mate­ri­al­schlacht ende­te mit der Kapi­tu­la­ti­on von Argen­ti­ni­en.

Im Febru­ar 1982 war unser Markt in Lin­dig für zwei Tage wegen Umbau zu, wir ver­grö­ßer­ten die Tief­küh­lung, um dem wach­sen­den Markt gerecht zu wer­den. Das war genau rich­tig, da Anfang Mai der HaWe­Ge-Markt für 6 Wochen die Türen schloss, um nach Total­um­bau als Kon­tra-Markt zu eröff­nen. Es blieb span­nend, immer­hin gab es in der Lin­dig-Sied­lung noch einen Metz­ger, einen Milch­la­den mit Lebens­mit­teln, eine Bäcke­rei­fi­lia­le und zwei Gast­stät­ten. Und wir woll­ten auch wei­ter­hin ganz vor­ne dabei sein!

Mit­tel­maß war nicht unser Anspruch, wir woll­ten ganz vor­ne dabei sein! Wegen der anhal­ten­den schwe­ren Wirt­schafts­kri­se doch ziem­lich ambi­tio­niert. Auch in der Poli­tik kri­sel­te es seit eini­ger Zeit, bis schließ­lich im Sep­tem­ber die sozi­al-libe­ra­le Koali­ti­on durch ein Miss­trau­ens­vo­tum abge­löst wird, Hel­mut Kohl wird Regie­rungs­chef. Für die neue Regie­rung sind Ein­spa­run­gen im Sozi­al­be­reich alter­na­tiv­los und schmerz­haft, die Fron­ten zwi­schen Arbeit­ge­bern und Gewerk­schaf­ten ver­här­tet.

 Anders als das poli­ti­sche Kli­ma war das Wet­ter. Schon ab April bis Ende Sep­tem­ber gab es einen Traum­som­mer mit viel Son­nen­schein, aber auch immer wie­der Regen, was uns mit fast 15 Mio. hl die größ­te Wein­ern­te, aber auch eine eben­so rie­si­ge Apfel­ern­te bescher­te. Vie­le gute Ideen und ein tol­les Team lie­ßen die Umsät­ze nach oben klet­tern, sodass es am Ende fast 15% mehr waren. Einen gehö­ri­gen Anteil hat­ten die Fleisch­ab­tei­lun­gen, auch der im Herbst in Sen­del­bach neu begon­ne­ne Ver­kauf von fri­schem Fisch half, die Kun­den noch stär­ker zu bin­den.

Zwi­schen­durch gab‘s auch einen Aus­flug zu Oma und Opa und der gan­zen Fami­lie im All­gäu. Mit dabei natür­lich das Surf­brett, um mit dem Schwa­ger den Bag­ger­see zu pflü­gen. Schließ­lich hat­te ich schon 1976 bei einem Ost­see­ur­laub bei 16° Was­ser­tem­pe­ra­tur das Sur­fen gelernt. Ging damals ganz schnell!  Schon als Kind war ich dem Was­ser sehr ver­bun­den, bei der ört­li­chen Was­ser­wacht aktiv und mit 18 Jah­ren als Aus­bil­der für Ret­tungs­schwim­mer jeden Don­ners­tag beim Trai­ning dabei.

Eines Mon­tags rief mich Peter C., Geschäfts­füh­rer des Ein­zel­han­dels­ver­bands in Unter­fran­ken – er war schon als Refe­rent in unse­rem Han­dels­fach­wirt­lehr­gang tätig – an und frag­te mich, ob ich als Nach­fol­ger von Hans Michel­bach in den Vor­stand des Ver­ban­des kom­men wol­le, da er zum 1. Bür­ger­meis­ter der Nach­bar­stadt Gemün­den gewählt wur­de (und dann ab 1994 bis 2021 Mit­glied des Bun­des­tags war). Ich sag­te zu, über­nahm ein Jahr spä­ter das Amt des Schatz­meis­ters für vie­le Jah­re, war in den Aus­schüs­sen für Bil­dung und Umwelt in Mün­chen und Ber­lin und als Mit­glied des baye­ri­schen Prä­si­di­ums tätig. Nach zwei Wahl­pe­ri­oden als ers­ter Vor­sit­zen­der und der Ein­füh­rung des neu­en Bezirks­ge­schäfts­füh­rers habe ich dann 2013 alle Ehren­äm­ter in jün­ge­re Hän­de gege­ben.

Ein Fazit: 1982 war abwechs­lungs­reich. Ita­li­en wird Fuß­ball­welt­meis­ter, der ET– Film von Ste­ven Spiel­berg kommt in die Kinos, im Herbst kommt der 1. „Com­pu­ter“, der C64 auf den Markt und die Kiwi aus Neu­see­land ist jetzt der neue Star in den Obst­ab­tei­lun­gen der Märk­te. Ziga­ret­ten­pa­ckun­gen tra­gen nun den schrift­li­chen Hin­weis auf die Gesund­heits­schäd­lich­keit des Rau­chens. Die schwe­di­sche Band ABBA trennt sich, die TOTEN HOSEN und DIE ÄRZTE wer­den gegrün­det.

Und was bringt das neue Jahr?

Rück­bli­ckend war 1983 das Jahr der Ver­än­de­run­gen und des Auf­bruchs – in vie­len Berei­chen. Die Ent­wick­lung der Märk­te im Vor­jahr mach­te Mut für neue Plä­ne. Den Sen­del­ba­cher Laden zu erwei­tern, das war die Idee, die wir dem Haus­herrn und der EDEKA vor­schlu­gen. Nach vie­len Dis­kus­sio­nen und Plan­va­ri­an­ten war letzt­end­lich die Auf­sto­ckung des bis­he­ri­gen Flach­baus die Lösung, um zu mehr Ver­kaufs­flä­che zu kom­men. Die Rea­li­sie­rung soll­te aber doch bis Mit­te 1985 dau­ern.

Auch in der Poli­tik gab es gro­ße Ver­än­de­run­gen. Im März kamen durch die vor­ge­zo­ge­ne Neu­wahl die „Grü­nen“ erst­mals in den Bun­des­tag und somit auch die Jeans und Turn­schu­he. Beim Besuch der CeBit, damals noch Teil der Han­no­ver Mes­se, begann auch für mich ein neu­es Zeit­al­ter. IBM hat­te gera­de den ers­ten Per­so­nal Com­pu­ter XT vor­ge­stellt. Aus Ame­ri­ka kam die brand­neue Tech­nik des Scan­nings, über die ich mich am Pro­to­typ inten­siv bera­ten ließ. Da war der Ent­schluss, schnell mit die­ser Tech­nik in die Zukunft des Mark­tes zu gehen, bereits gefal­len.

9,3 Mil­lio­nen DM zahl­te der „stern“ für die gefun­de­nen Hit­ler – Tage­bü­cher, bis sich weni­ge Tage spä­ter der Fäl­scher Kon­rad Kujau selbst ent­tarn­te. Im Juni titel­te der „Spie­gel“: Töd­li­che Seu­che AIDS, was auch heu­te noch welt­weit für viel Leid sorgt. Papst Johan­nes Paul II ernennt Karl Leh­man zum Bischof von Mainz (bis 2016), 2001 wird die­ser zum Kar­di­nal erho­ben. Moto­ro­la bringt das ers­te Han­dy, den „Kno­chen“ mit 800 g. auf den Markt und unser Sohn Ralf star­tet jetzt erfolg­reich im Kin­der­gar­ten.

Der „hei­ße Herbst“ waren die Pro­tes­te von mehr als 1,3 Mil­lio­nen für Frie­den und gegen den Nato-Dop­pel­be­schluss, wohl das gefähr­lichs­te Jahr des kal­ten Krie­ges.

In bei­den Märk­ten waren wir sehr erfolg­reich mit unse­rem Herbst­markt, der gro­ßen Ein­kel­le­rungs­ak­ti­on. Ein beson­de­res Jubi­lä­um konn­ten wir in den Tagen fei­ern. Unse­re treue Mit­ar­bei­te­rin Edda K. war seit 30 Jah­ren eine gro­ße Stüt­ze für das Unter­neh­men und immer loy­al. Vie­le unse­rer Stamm­kun­den kann­ten sie ja noch als „Stift“ aus der Lehr­zeit.

Alle rufen nach dem Frie­den. „Rock für den Frie­den“ heißt des­halb auch das Kon­zert von Udo Lin­den­berg im Palast der Repu­blik in Ost-Ber­lin. Dort spielt er dann auf beson­de­ren Wunsch von Erich den Song Son­der­zug nach Pan­kow. In die USA kün­digt Micro­soft mit Win­dows 1.0 die Urver­si­on sei­nes Betriebs­sys­tems an. Der Astro­naut Ulf Mer­bold star­tet als ers­ter Bun­des­bür­ger mit dem Shut­tle Colum­bia ins Welt­all.

Alles in allem ein viel­fäl­ti­ges Jahr.

Die Ent­wick­lung im Sen­del­ba­cher Markt in den zwei ver­gan­ge­nen Jah­ren war recht posi­tiv gewe­sen. Wir ent­schie­den uns daher, in der Zusam­men­ar­beit mit EDEKA auf die Ver­mie­ter zuzu­ge­hen und mit Ihnen über eine Erwei­te­rung der Ver­kaufs­flä­che zu spre­chen. Das neben­an lie­gen­de Grund­stück mit Baum­be­stand war in einem ziem­lich ver­wahr­los­ten Zustand und bot sich eigent­lich für die Erwei­te­rung an. Da die Spar­kas­se Besit­zer des Grund­stücks ist und nichts abge­ben woll­te, wur­den die Ver­hand­lun­gen ohne Ergeb­nis been­det. Jetzt wur­de die Alter­na­ti­ve geprüft, den Flach­bau auf­zu­sto­cken und so die Neben­räu­me der Ver­kaufs­flä­che zuzu­schla­gen. Nach Wochen mit inten­si­ven Pla­nun­gen – der Haus­herr ist selbst Archi­tekt – begann im Spät­herbst bei lau­fen­dem Geschäfts­be­trieb der Umbau.

Bei den olym­pi­schen Win­ter­spie­len im Febru­ar 1984 in Sara­je­vo gewann Kata­ri­na Witt die Gold­me­dail­le im Eis­kunst­lauf. Die Som­mer­spie­le in Los Ange­les wur­den von fast allen sozia­lis­ti­schen Staa­ten boy­kot­tiert. Dies wohl als „Retour­kut­sche“ für den Boy­kott vie­ler kapi­ta­lis­ti­scher Staa­ten bei der Olym­pia­de 1980 in Mos­kau. Die seit Jah­ren statt­fin­den­den Oster­mär­sche brach­ten wie­der meh­re­re Hun­dert­tau­send Demons­tran­ten für den Frie­den auf die Stra­ße. Auch auf der Stra­ße wur­de jetzt die bereits seit 1976 gül­ti­ge Gurt­pflicht zur Anschnall­pflicht, bei Nicht­be­ach­tung kos­te­te das jetzt 40 DM Stra­fe.

War es der von F.J.Strauß in 1983 ver­mit­tel­te Mil­li­ar­den­kre­dit – ver­bürgt durch die Bun­des­re­pu­blik  — der die bank­rot­te DDR dazu brach­te, im Gegen­zug die Aus­rei­se­be­din­gun­gen zu erleich­tern? Trotz­dem such­ten immer mehr DDR-Bür­ger in den BRD-Bot­schaf­ten von Prag, War­schau und Buda­pest Schutz und bean­trag­ten ihre Aus­rei­se, man­che tra­ten dafür auch in den Hun­ger­streik. War das der Anfang vom Ende?

Am Ende war es Frank­reich, das im Juni Euro­pa­meis­ter im Fuß­ball wur­de. Nicht so erfolg­reich war die Suche nach einer Lehr­stel­le, im Sep­tem­ber waren noch fast sech­zig­tau­send Jugend­li­che ohne Aus­bil­dungs­ver­trag.

Mit­te des Jah­res kam der Per­so­nal Com­pu­ter AT von IBM auf den Markt, die Ent­wick­lun­gen gin­gen rasant wei­ter. Auch für den Chro­nis­ten war klar, dass das auch für die Zukunft im Han­del von gro­ßer Bedeu­tung sein wird. So stand die Ent­schei­dung fest, dass nach dem Abschluss des Umbaus die Wie­der­eröff­nung des Mark­tes auch der Start in die Welt des Scan­nings sein soll­te. Da gab es im Vor­feld noch viel zu tun, weil es auch kei­ne Erfah­run­gen aus der Pra­xis dazu gab. Es lagen also span­nen­de Wochen, Tage und Näch­te vor uns, um die­sen ehr­gei­zi­gen Schritt zum Erfolg zu füh­ren.